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Kein Kommentar: „Putin verstehen“ – wie geht das? Von den USA lernen, um Putin zu verstehen?!

Von • Nov 30th, 2022 • Kategorie: GSP-Radio

Kein Kommentar: „Putin verstehen“ – wie geht das? Von den USA lernen, um Putin zu verstehen?!

 

Die viel gescholtenen „Putin-Versteher“ haben es nicht leicht.

Allein schon, dass dem „russischen völkerrechtswidrigen kriminellen Angriffskrieg“ etc. usw. irgendwelche nachvollziehbaren politischen Beweggründe attestiert werden könnten, das allein verstößt gegen die von den NATO- und Selenskyj-Verstehern in den höchsten politischen und medialen Etagen dominierte Diskussionskultur.

Verboten werden die „Putin-Versteher“ nicht, oder noch nicht, das braucht es auch nicht, denn die kollektive Ächtung durch die Verantwortungspresse bringt unter dem Strich vermutlich sogar ein überlegenes Ergebnis – wenn alle Maßgeblichen unisono ganz frei und ohne Propagandaministerium oder Zensur einhellig in den sonst angeblich verpönten „einfachen Antworten“ schwelgen und die Welt endlich mal ganz primitiv „schwarz-weiß“ malen können.

In einem der letzten Reservate, nämlich in der Schweizer „Weltwoche“, hat ein Repräsentant aus der US-amerikanischen Putin-Versteher-Szene publiziert. Der Autor heißt Benjamin Abelow, er wird als Historiker und Mediziner vorgestellt, „ausgebildet an den amerikanischen Elite-Universitäten Pennsylvania und Yale, war in Washington, DC als Experte für Atomwaffenpolitik tätig, bevor er sich der Medizin zuwandte. Als die Ukraine-Krise eskalierte, setzte er sich erneut mit Fragen von Krieg und Frieden auseinander und erkannte, wie er sagt, ‘das steigende Risiko eines Atomkriegs’“. (S. 3)

Alle folgenden Zitate aus einem Vorabdruck mit dem vielsagenden Titel:

„Wie der Westen den Krieg in die Ukraine brachte. Die Rolle der USA und der NATO in der Ukraine-Krise.“ Abelow beruft sich im Rahmen seiner Abhandlung auf namhafte Experten: „Dabei stütze ich mich auf die Analysen mehrerer Wissenschaftler, Regierungsvertreter und Militärbeobachter, wie zum Beispiel John Mearsheimer, Stephen F. Cohen, Richard Sakwa, Gilbert Doctorow, George F. Kennan, Chas Freeman, Douglas Macgregor und Brennan Deveraux.“ (S. 6) Der link:

https://weltwoche.ch/wp-content/uploads/wewo2022_43_UKRA-1.pdf)

 

Zur Einordnung: Die betreffenden Experten – speziell der erwähnte Mearsheimer – gehören in die Abteilung des politologischen

„Realismus“: „Der Realismus … ist eine Denkschule innerhalb der politikwissenschaftlichen Disziplin Internationale Beziehungen, die sich mit dem Charakter und der Verteilung der Macht im internationalen System auseinandersetzt. Nach realistischer Auffassung ist das wichtigste Ziel jedes Staates das eigene Überleben. Das lasse sich am besten dadurch sichern, dass er mächtiger ist als seine potentiellen Gegner. … Die souveränen Nationalstaaten befinden sich so in einem permanenten Überlebenskampf untereinander und ihre Außenpolitik ist ausschließlich von diesem Kampf bestimmt.“ (wikipedia, Stichwort „Realismus“) „Internationale Politik beruht auf Kooperationen oder Konflikten … [Akteure sind] durch ihre eigenen Interessen motiviert (‘Egoismus’); die Interaktion … verläuft beständig vor dem Hintergrund eines möglichen Gebrauchs materieller Macht … (‘Machtzentrismus’).“ (ebd., „Internationale Beziehungen“)

Das einmal vorweg; die Realisten – nomen est omen – wollen also der Frage nachgehen, worum es denn nun wirklich in der internationalen Politik geht, jenseits der „Sonntagsreden“ und der geschönten Deklarationen politischer Repräsentanten, und sie antworten: „Es geht um die Macht!“ Nun, dass Staaten ständig mit der Erhaltung, Sicherung und Erweiterung ihrer Macht befasst sind, gegeneinander, das lässt sich schwer bestreiten; die Frage nach dem warum und wofür ist allerdings mit dem erwähnten Ziel des „Überlebens“ schon den Sprachregelungen der Staaten entnommen; denn das behaupten sie noch alle, wenn sie Krieg führen – mehr wollen sie nicht?!

 

Von den USA lernen! Dadurch „Putin verstehen“!

 

Eine Absage an das Feindbild-Narrativ …

 

… und eine Erinnerung an gewisse Fakten

 

„Putin verstehen“: Unrealistisch und unamerikanisch!

 

Es wäre schon wünschenswert, wenn Abelow mit der gleichen beanspruchten theoretischen Distanz, mit der er das rationale Kalkül der russischen Kriegspolitik zu ermitteln versucht, wenn er dementsprechend auch das rationale Kalkül der US-Kriegspolitik analysieren würde. Ihm ist doch völlig klar, dass Putin nicht von einer „Paranoia“ getrieben wird, sondern einen strategischen Plan hat – aber sein Vorwurf der „Dummheit“, „Blindheit“ und „Feigheit“ (S. 30) trifft genau sowenig die tatsächlichen Maximen der US-amerikanischen und der europäischen Politik.

Abelow zitiert Fiona Hill, von ihm vorgestellt als eine „Washington Insiderin“ und „Russland Hardlinerin“; und die sagt – gegen die Kinderei, Putin werde von „Emotionen“ gesteuert, wie Abelow:

„Ich denke, es gibt einen logischen, methodischen Plan, der sehr weit zurückreicht, zumindest bis 2007, als er [Putin] der Welt und insbesondere Europa zu verstehen gab, dass Moskau die weitere Ausweitung der Nato nicht akzeptieren wird. Und 2008 – also innerhalb eines Jahres – öffnete die Nato die Tür für Georgien und die Ukraine. … Eine unserer Einschätzungen lautete, dass ein echtes, ernsthaftes Risiko für eine präventive Militäraktion Russlands bestand, die sich nicht nur auf die Annexion der Krim beschränkt, sondern sich in einem viel größeren Umfang gegen die Ukraine und Georgien richten wird.“ (S. 21)

Dass die NATO-Osterweiterung der hinreichende Grund für eine militärische Antwort Russlands ist, darin stimmen Hill und Abelow überein – nur nimmt sie das ganz gegenteilig nicht als Hindernis und als eine unüberwindbare und zu respektierende Schranke, sondern als Auftrag, eben auch dieses „ernsthafte Risiko“ zu beherrschen!

So geht Realismus! Und wenn Russland sich das nicht gefallen lässt, dann ist Putin eben der neue „Hitler“!

 

 

Als abschließender Tipp eine ausführliche Gegendarstellung aus dem Jahr 2019, vor dem Krieg, deren Wiedergabe den Rahmen dieser Beiträge sprengen würde.

 

In GegenStandpunkt 3-19:

„Nicht erst unter Trump, unter Trump aber in neuer Entschiedenheit: Die amerikanische Weltmacht treibt die Entmachtung ihres russischen Rivalen voran“.

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/usa-treiben-entmachtung-ihres-russischen-rivalen-voran

 

Penibel recherchiert aus öffentlich zugänglichen Quellen, wird da analysiert, wie entschlossen, und wie sorgfältig und umsichtig die westliche Weltmacht vorgeht.

Eine Sorgfalt, die übrigens auch die Art und Weise kennzeichnet, in der die USA den Krieg in der Ukraine anlegen und führen lassen. So wurden die verzweifelten Anträge Selenskyjs auf den direkten Einstieg der NATO in den Krieg deutlich abgelehnt, vorgetragen etwa anhand einer möglichen Katastrophe durch eine Havarie des AKW Saporischschja, ebenso wie nach der ukrainischen false-flag-Rakete auf Polen.

Nicht die Ukraine verheizt die NATO, es ist umgekehrt; in der Ukraine hat Russland nach wie vor freie Hand, auf Basis eines von den USA geographisch und waffenmäßig ziemlich genau abgesteckten konventionellen Schlachtfeldes; diskrete Kontakte „behind“ dürfen vermutet werden, das amerikanische Bedürfnis nach Atomwaffendiplomatie ist jedenfalls nach wie vor gegeben.

Die ernste Befürchtung Abelows, da könnte durch Irrtümer und Fehleinschätzungen auf Basis eines grundverkehrten „Narrativs“ ein von niemandem gewollter atomarer Schlagabtausch in Gang kommen – die ist jedenfalls haltlos.

 

Literatur:

 

Benjamin Abelow, „Wie der Westen den Krieg in die Ukraine brachte“:

https://weltwoche.ch/wp-content/uploads/wewo2022_43_UKRA-1.pdf

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/usa-treiben-entmachtung-ihres-russischen-rivalen-voran

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/rueckblick-auf-10-monate-krieg-ukraine

 

Und eine kleine Recherche in Sachen Nord Stream 2:

https://www.youtube.com/watch?v=NSZyKYitC3M

 

 

https://cba.fro.at/587569

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