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Suitbert Cechura: Bist du bereit, für Deutschland zu sterben?

Von • Apr. 16th, 2024 • Kategorie: Allgemein

Suitbert Cechura: Bist du bereit, für Deutschland zu sterben?

Diese Frage wird so direkt den Bürgern gegenwärtig nicht vorgelegt, noch stellen sie sich diese selbst in ihrem Alltag. Dennoch wirft die Politik sie auf, wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärt: „Wir müssen kriegstüchtig werden“ (ZDF, 29.10.23) Wer kriegstüchtig sein will, schließt ja gerade die Option ein, einen Krieg zu führen. Und wenn Pistorius eine „Richtungsentscheidung zur Wehrpflicht“ möglichst „bis 2025“ will (Der Spiegel, 5.3.24), ist klar, wer dann den Kriegsdienst zu leisten hat – eben das dienstverpflichtete Volk.

Im Grundsätzlichen ist das kein Novum fürs deutsche Volk, das seit Gründung der BRD mit heftigen Auf- und Nachrüstungsschüben beglückt wird, jetzt eben mit einer offiziellen „Zeitenwende“. Die setzt dem Ganzen natürlich eine neue Zielmarke, nämlich die Rolle der „Führungsmacht“. Jetzt heißt es nicht mehr, dass man alles dafür tut, um durch Abschreckung die Kriegsverhinderung zu gewährleisten; die Regierung ist vielmehr dabei, alle materiellen wie personellen Voraussetzungen zu schaffen, um einen Krieg zu führen.

So will die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die Schulen kriegstauglich machen (FAZ, 18.3.24), Minister Robert Habeck fördert die Militärforschung (Handelsblatt, 6.3.24) und trifft die Spitzen der Rüstungsindustrie, um „die militärische Verteidigungsfähigkeit in den Dimensionen Land, Wasser, Luft durch die deutsche Verteidigungsindustrie“ zu stärken (focus.de 19.3.24). Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht sich gefordert, die Krankenhäuser kriegstauglich zu machen (tagesschau.de, 2.3.24). Da wollen die Medien nicht zurückstehen und machen selbst die Kleinsten mit Kriegsnotwendigkeiten vertraut (siehe „Ein Marschflugkörper wie Du und ich“).

Das Volk soll eben nicht nur brav seine Arbeit tun und so die Voraussetzungen für den Krieg schaffen. Es ist auch als Mitmacher im Waffengang gefragt, in der einen oder anderen Form schon als Material zu dessen Realisierung verplant: als Soldaten und aktivierbare Reservisten, als Arbeitnehmer in der Kriegswirtschaft oder in der Gesundheitsversorgung, als Volkserzieher oder Pfaffen in der Militärseelsorge …

Dazu braucht es als Erstes Loyalität. Bescheidwissen über die Gründe der weltpolitischen Affären ist da nicht gefragt, kann eher stören. Verlangt ist zudem ein solides Feindbild und damit die Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen. Wer als Gegner ins Auge gefasst wird – Russland und China –, ist auch kein Geheimnis. Aber es geht ja generell um „Herausforderungen“, die uns aus dem Ausland drohen. Dort sieht man das übrigens genauso. So steht immer ein „Wir“ gegen die anderen, die es existenziell bedrohen.

Und es stimmt ja, im modernen Krieg sind nicht nur die Soldaten an der Front die Opfer, sondern es gilt immer auch die Versorgungswege und Produktionsstätten, also die Lebensgrundlagen der feindlichen Nation, zu treffen. Damit gibt es ständig zivile Opfer, auch wenn alle Kriegsparteien betonen, dass sie nur militärisch relevante Ziele angreifen. Die Ukraine und der Krieg im Gaza liefern dazu reichlich Anschauungsmaterial.

Von daher ist jetzt schon in aller Härte die Frage an jeden Bürger gestellt, wie er oder sie zu der Einsatzplanung der Regierung in Sachen Krieg stehen, in der sie als potentielle Opfer fest eingeplant sind. Noch ist es Zeit, sich gegen die Kriegsvorbereitung zu wehren; wenn der Krieg ansteht, wird die Frage gar nicht mehr gestellt, dann zählt nur noch die Pflicht.

Die ist dem Staatsbürger zwar vertraut, sie muss aber immer neu bebildert werden. Also: Wozu soll man sein Leben geben? Wie heißen aktuell die allzu bekannten Antworten?

Für unsere Sicherheit

Für die Sicherung des Friedens

Für unsere Werte und die Demokratie

Für unsere Heimat

Für Deutschland

Der nationale Standpunkt ist heute als Selbstverständlichkeit durchgesetzt. Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter – so hieß dagegen einmal eine Parole der Arbeiterbewegung. Die alte Parole wurde jüngst von der oppositionellen Gewerkschaftsinitiative „Sagt nein!“ angesichts der laufenden Kriege und Kriegsvorbereitung ausgegraben. Es war eine Parole, die sich an Arbeiter richtete, die noch eine Ahnung vom Klassengegensatz zu ihren Arbeitgebern und zu dem Staat hatten, der deren Interesse am Wirtschaftswachstum betreut – und denen vielleicht auch noch der Spruch von Karl Marx bekannt war, dass Arbeiter kein Vaterland haben.

Dieses Bewusstsein ist heutzutage nicht mehr vorhanden. Schon vor dem Ersten Weltkrieg schlossen die Arbeiterorganisationen ihren „Burgfrieden“ mit der kaiserlichen Regierung. Die Nation war ihnen wichtiger als der Kampf gegen ihre Abhängigkeit von Kapital und Staat. Und an dieser Stellung hat sich weder nach den Millionen Toten in den Schützengräben des ersten noch nach denen des zweiten etwas geändert. Im Nachkriegsdeutschland hieß es zwar immer wieder „nie wieder“, aber die Arbeiter und ihre Organisationen haben nichts daraus gelernt und sich nicht wirklich gegen die Wiederaufrüstung gestemmt.

Aktuell sind die deutschen Gewerkschaften mit Beginn des Krieges in der Ukraine dabei, ihre Satzungen der neuen Kriegslage anzupassen. Und die IG-Metall hat ein Bündnis mit dem Rüstungskapital geschlossen. Begründet wird dies natürlich mit den Arbeitsplätzen, von denen viele abhängig sind.

So wird aus der Sorge um den Arbeitsplatz die Sorge um den Erfolg der Nation. Und da macht es offenbar auch nichts, wenn die Nation gerade dabei ist, den nächsten Krieg vorzubereiten. Nicht umsonst gibt es den Deutschen Gewerkschaftsbund DGB, der sich als nationale Organisation versteht und bei allen Solidaritätsadressen an die Gewerkschaften anderer Staaten stets auf den Vorteil der deutschen Wirtschaft bedacht ist.

Wer sich gegen die Kriegsertüchtigung wenden will, bewegt sich somit außerhalb der national begründeten und nationalistisch aufgeheizten Gemeinschaft und hat eben den Nationalismus dieser Organisationen zu bekämpfen. Bündnispartner dafür finden sich nicht da, wo man sich national mit anderen verbunden fühlt, sondern in der Bereitschaft von Menschen – welcher Nationalität auch immer – sich von der Unterordnung unter die Staatsmacht ideell und dann auch praktisch zu verabschieden.

https://overton-magazin.de/top-story/bist-du-bereit-fuer-deutschland-zu-sterben/

3 Responses »

  1. Der Artikel dürfte zu dem Besten zählen, was derzeit in der Sphäre der Veröffentlichten Meinung zu Kriegsfragen zu haben ist. Das ändert nicht, daß er zwei Generalmacken hat.

    1) Cechura schrieb:
    [Die Frage nach dem Sterben für Deutschland] wird so direkt den Bürgern gegenwärtig nicht vorgelegt, noch stellen sie sich diese selbst in ihrem Alltag. Dennoch wirft die Politik sie auf …

    Das nenne ich blühende Beamtenlyrik!
    Falls es denn vor dem Februar 2022 noch einen halbwegs nennenswerten Bevölkerungsanteil abseits von Beamteten und anderen sogenannten „Privilegierten“ gegeben hat, der daran glaubte, und darauf setzte, dasjenige Leben, das er unter dem Titel „persönlicher Freiheit“ zu führen befugt und gezwungen ist, sei etwas anderes, als eine Dienstleistung am Staatswesen, ist das Vergangenheit. Cechura reagiert doch auf die Fortschritte der Mobilisierung, die alles, was ein Untertan zu treiben pflegt und wünscht, dem Kriegsziel einer Beseitigung von Gefahren unterwirft, die von Russland ausgehen sollen, und es daran relativiert.

    Das sagt Cechura weiter unten doch selbst!
    So wird aus der Sorge um den Arbeitsplatz die Sorge um den Erfolg der Nation. Und da macht es offenbar auch nichts, wenn die Nation gerade dabei ist, den nächsten Krieg vorzubereiten …“.

    Ja, bitte schön, was soll also Deine Anbiederung an eine obendrein unverstandene christliche Moral, Cechura? Die beginnt doch nicht zufällig historisch mit Märtyrern!
    Die Adressaten sind darüber längst hinaus, sie verhalten sich gemäß den Mustern der Spieltheorie.
    Käptn Blackbird, geht die Legende, soll einmal im Verlauf eines gepflegten Besäufnisses seine zwei Musketen unter dem Spieltisch gelöst haben, „um zu sehen, wer ein Glücksschwein ist“. Es hat, so die Legende stimmt, seinem Status als Anführer nicht geschadet. Man hat halt vermieden, sich an seinen Spieltisch zu setzen, so what.
    Die Frage, „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ wird seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters an allen Fronten, von der Ehe angefangen, bis zum Schlachtfeld, mit einem schmetternden „Ja!!“ beantwortet: „I will survive!“.
    Die Abstraktion, die Leben und Überleben trennt, um die „Bestandteile“ bedarfsweise zusammen zu fügen, ist doch bitte eine Voraussetzung aller Nationalismen, sagst Du das nicht „recht eigentlich“ selbst hin?!

    2. Die zweite Macke will ich Artikel und Autoren gar nicht ankreiden, sie ist unvermeidlich, jedenfalls unter den vorliegenden Umständen.
    Cechura versäumt notgedrungen, darzulegen, daß und wie Kriegführung notwendige Phase der Staatenkonkurrenz auf dem Weltmarkt ist. Er macht plausibel, daß die Kriegsgründe und -zwecke darin liegen, und das ist ja auch nicht besonders problematisch darzustellen, die Herren Staatenlenker sagen das ja auf ihre Weise unentwegt selbst an und hin.

    Aber das ändert halt nicht, daß jeder einzelne Krieg selbstredend vermeidbar ist, auch unter den Voraussetzungen und Bedingungen jener Konkurrenz: Die Kriegsfronten, die in einem Frieden angelegt sind, müssen halt von dazu befugten und dazu in den Stand versetzten Figuren und Modellen aufgemacht werden. Unterbleibt das, gibt es keinen Krieg. Diese Wahrheit haben die Friedensfreunde doch bitte für sich!

    Und so bleiben die Agitation der Friedensfreunde aller Couleur plus die vermittels der zuerst genannten Macke bedingte Gegenposition des Freundes eines guten Lebens Parallelspuren im bürgerlichen Werteuniversum!

    Abhilfe schaffen täte in der praktischen Welt ein Klassenbewußtsein, jedenfalls auf bedingte Weise, das sagt Cechura korrekt an.
    In der Welt der Theorie wäre die Entsprechung ein historisch korrekter Imperialismusbegriff, und der ist schon deshalb unmöglich zu haben, weil das o.a. Klassenbewußtsein von Lohnempfängern eine unumgängliche Voraussetzung dafür ist, daß ein korrekter Imperialismusbegriff der Sphäre von Elfenbeintürmen entkommen kann.
    Aber wenigstens das sollte halt auch mal gesagt sein, sagt TomGard, der das nicht auf „Overton“ hinsagen kann, weil er dort – begreiflicherweis – gebannt ist.

  2. Harald Neuber hat unter dem Titel „Iran vs. Israel: Was die Eskalation in Nahost über die neue Weltordnung verrät“ von ebenso befangenen, wie buchstäblich indiskutablen Ausgangspunkten der Parteinahme für Ordnungs- und Machtpolitik aus, ein paar einfache Wahrheiten zur Notwendigkeit des imperialistischen Krieges ausgesprochen:

    „Das westliche Narrativ eines irrationalen Mullah-Regimes, das eine neue Krise provoziert, basiert auf einer gewissen Hilfs- und Orientierungslosigkeit angesichts der eigenen schwindenden Dominanz.
    Mit dem eigenen Narrativ wird eine alternative Realität geopolitischer Machtverhältnisse bedient, die der eigenen Absicherung dient, während Gegenstimmen … mit repressiven Maßnahmen zum Schweigen gebracht werden. Beste Voraussetzungen für eine Außen-, Geo- und Militärpolitik in der Echokammer, in der man sich stets selbst versichert, auf der Seite der Guten zu stehen.
    Mit dem globalen Meinungsbild hat das schon lange nichts mehr zu tun. Wer auch nur ein wenig die internationale Presse verfolgt … weiß, dass die offensichtlich politisch motivierte Beugung des Völkerrechts …“

    „Politisch motiviert“, das ist ein erhellender, einfach zu erkennender Fehler. Weder die Gründe noch Motive sind politischer Natur, sondern militärischer – allenfalls von dort aus militärpolitischer „Natur“. Dieser Riss in Neubers Darstellung wäre m.E. ein tauglicher Ansatzpunkt der Dekonstruktion seines Narratives.

    “ politisch motivierte Beugung des Völkerrechts dort inzwischen in einem Maße kritisiert wird, das deutlicher denn je zur Entfremdung von den imperialen und ökonomischen Zentren beiträgt.

    Mit anderen Worten: Angesichts des Verfalls völkerrechtlicher Normen ist man dort bereit, auf wirtschaftliche Vorteile zu verzichten, um durch neue Allianzen langfristig mehr Sicherheit zu erreichen.
    Der Nahostkonflikt als Brennglas

    Dieser Umbruch zeigt sich im Nahen Osten wie in einem Brennglas. Und er wird genutzt, um neue Rollen und Verhältnisse zu zementieren.

    Das ist alles wahr, aber diese Nutzung und das zugehörige Nutzungsbedürfnis ist rein militärisch in die Welt gesetzt: Von der zionistischen Militäraristokratie; und es wird rein militärisch aufrecht erhalten, von EUCOM und CENTCOM und damit dem Kernbestand der NATO. Es ist am Ende des Tages die NATO, die davor steht, den zionistischen Amoklauf, der auch aus Sicht des Weißen Hauses und der EU (wenn man Borrells wenig publizierte Aussagen dazu hernimmt) genau das ist, mit einfachen, unblutigen Mitteln zu beenden, nämlich einer Blockade der israelischen Seehäfen.

    Just saying, damit der Kommentar oben nicht bloß luftiges Geschwätz bleibt.

  3. In seinem neuen Beitrag für Overton, „Warum Freiheit wichtiger ist, als Leben“, hat Cechura meiner Kritik bestens abgeholfen.