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Kein Kommentar: Zur „hybriden“ Kriegslage in Deutschland

Von • Okt 5th, 2022 • Kategorie: GSP-Radio

Kein Kommentar: Zur „hybriden“ Kriegslage in Deutschland

 

Eine etwas seltsame Überschrift, ein eigenartiges Thema, klar.

Ausgangspunkt ist ein Bedürfnis in Hörer- bzw. Leserkreisen, einen Leitartikel im SPIEGEL Nr. 37/2022 vom 10. September zu diskutieren.

Damit will ich einsteigen.

Der Titel dieses Leitartikels lautet „Von Churchill lernen“; und als dessen Schüler bzw. – über den Umweg Churchill – als Schüler der Autorin des Leitartikels sind der deutsche Kanzler und der deutsche Bundespräsident anvisiert. Diese beiden Autoritäten wiederum sollen selber umgehend pädagogisch tätig werden und dafür sorgen, dass die Deutschen etwas lernen, und zwar sollen sie lernen:

„Wer Putin stoppen will, muss Opfer bringen.“ Scholz, machen sie uns den „Churchill“! So der Imperativ. (…)

Wie dem auch sein, der Sache nach führt das publizistische Bedürfnis nach dem knallharten „Churchill“ in die Richtung einer Kriegserklärung an Russland. Churchill war schließlich der Kriegspremier, als den Teile der deutschen Öffentlichkeit Olaf Scholz inszenieren möchten. Deutschland an Scholz, via SPIEGEL: Machen Sie den Churchill! Erklären Sie Russland den Krieg! Deutschland will und braucht den Krieg! Es ist „unser“ Krieg! Deutschland will endlich wieder mal einen Krieg gewinnen! Und dieses Bedürfnis ist keine Spinnerei durchgeknallter Journalisten. Mit der Erinnerung an Scholzens Zeitenwenderede wird darauf angespielt, dass Deutschland als NATO-Mitglied und EU-Vormacht längst Kriegspartei ist. (…)

Der Maßstab, an dem da die eigene Vergangenheit gemessen wird, ist ebenso radikal wie unsachlich: Die deutsche Russlandpolitik habe es nicht geschafft, Russland entscheidend zu verohnmächtigen, Russland quasi präventiv am Krieg gegen die Ukraine zu hindern, und sei damit auf allen Ebenen krachend gescheitert, sei in dem Sinn fast mitschuldig, weil dadurch auch der Krieg ermöglicht wurde. Mit einem

Wort: Deutschland hat viel zu lange friedlich mit Russland verkehrt, bloß wegen ökonomischer Vorteile in Sachen billiger Energie. Man habe sich, selbstkritisch im Nachhinein und in dem Sinn völlig unverständlich, kaufen, bestechen und gar einlullen lassen. Darauf, auf diese politische Wende beruft sich der von eigener Siegesgewissheit mittlerweile völlig besoffene Teil der deutschen Öffentlichkeit. Einerseits.

Diese Sorte von moralfanatischem Kriegsgeschrei reibt sich – andererseits – allerdings nach wie vor an der hybriden Art und Weise, wie der Westen diesen Krieg führt, und wie er – nicht zuletzt in Russland – verstanden werden soll. (…)

Der Westen besteht jedenfalls (noch) darauf, nicht selbst Krieg zu führen, sondern bloß die Ukraine zu „unterstützen“, selbst also kein Feind und damit auch keine naturwüchsige und in diesem Sinn unmittelbar einleuchtende Zielscheibe Russlands zu sein. Der Westen führt seinen Krieg im wahrsten Sinn des Wortes als Stellvertreterkrieg – wobei die russische Seite keinen Stellvertreter zur Verfügung hat, sondern selbst Teil der Front ist, während der Westen die Ukraine kämpfen lässt, bis zum letzten Mann bzw. neuerdings auch zur letzten Frau. (…)

So, durch die Entscheidung darüber, was die Ukraine militärisch zustande bringt und was nicht, führt die NATO längst ihren Krieg gegen Russland – in der Ukraine durch die Ukraine. Es ist schon ihre Leistung, dass aus einer „Spezialoperation“ ein richtiger konventioneller Krieg wurde, der zumindest in Form eigener „Prognosen“ auf Dauer angelegt ist. Allerdings nur, sofern und inwiefern und wie lange Russland dabei mitmacht. Denn eines ist klar, es liegt schon auch an der russischen Seite, diese westliche „Sprachregelung“ mitzumachen, oder diese „Tarnung“ als bloß unterstützende, aber im Grunde genommen unbeteiligte Kriegspartei auffliegen zu lassen. Die russischen Hinweise auf den Einsatz von Atomwaffen zur Verteidigung russischen Territoriums sind da sehr deutlich.

 

Zurück zum SPIEGEL-Leitartikel, wofür steht denn nun so ein Text:

Unverantwortliches Kriegsgeschrei, das Deutschland in eine Konfrontation hetzen soll – oder bloß vorauseilender Gehorsam und Übereifer in Sachen Kriegspropaganda?! Scholz, machen Sie endlich den Churchill! Machen Sie dem deutschen Volk klar, mit bloßem Frieren ist es nicht getan, ohne deutsches Blutvergießen und deutsche Tränen wird es auch diesmal gegen die Russen nicht abgehen … Und dafür braucht es einen Blut-Schweiß-Tränen-Churchill?!

 

Abschließend:

„Deutschland will den Krieg. Oder wie soll man das sonst verstehen, wenn täglich von Mitgliedern der regierenden Koalition der Krieg in der Ukraine zu unserer, also Deutschlands Sache erklärt wird? Wenn zu jeder Gelegenheit die Entsendung von mehr und schwereren Waffen aus Deutschland in die Ukraine gefordert wird und das auch in steigendem Umfang stattfindet? Wenn es regierungsamtliche Linie ist, die Ukraine in ihrer Kriegsführung dauerhaft zu unterstützen, solange sie das braucht? Natürlich steht das alles unter dem Motto, es ginge darum, den Ukrainern zu helfen. … Sicher, eine richtige Kriegserklärung von deutscher Seite, nach dem Lehrbuch der Diplomatie, gibt es nicht.

Und sosehr die Regierenden und Mit-Regierenden in Berlin den Krieg zu ihrer Sache erklären und machen und mit Waffenlieferungen zu seiner Eskalation beitragen: Kriegspartei im eigentlichen Sinn wollen sie nicht sein. Aber was sind sie dann?

Uneigentliche Kriegspartei sind sie und wollen sie bleiben – im Klartext: Deutschland will den Krieg, aber nicht seine wirklichen Kosten. Geld und Material sind geschenkt; Tote und Verwüstung fallen in der Ukraine an und nicht beim wild entschlossenen Sponsor.

Deutschland will den Krieg gegen Russland – in der Ukraine.“

(https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/deutschland-will-den-krieg)

 

In diese Lücke stößt so ein SPIEGEL-Artikel. Das ist der Stand der Dinge von Ende September, Anfang Oktober. Inzwischen hat sich der erste deutsche Minister offen zum Krieg bekannt.

Übrigens, Karl Kraus hat seinerzeit die Journaille für ihre unverzichtbaren Beiträge zum Krieg gehasst wie die Pest, und sie sogar für den Krieg mitverantwortlich gemacht. Seit den „letzten Tagen der Menschheit“ hat sich da offenbar nichts geändert.

 

Literatur:

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/mehr-deutsche-macht

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/machart-demokratischer-kriegspropaganda

 

https://cba.fro.at/577832

One Response »

  1. Kein Kommentar: Im Rückblick: Das (die) Abkommen von Minsk

    So um Mitte Oktober ist das bzw. sind – genau genommen – die Abkommen von Minsk bei unterschiedlichen Gelegenheiten ins Gerede gekommen. Darum soll es in einem kleinen Rückblick gehen.

    „Als Putin noch auf Verhandlungen setzte“

    (…)

    Dazu eine Zwischenbemerkung zu einer beliebten Technik der Propaganda. (…) Wenn jemand argumentiert, macht er sich zumindest der Form nach angreifbar, man liefert Argumente und Belege und stellt diese zur Debatte, wie das eben in diesen Beiträgen von „Kein Kommentar“ der Fall ist. Wer Positionen bloß referiert und wiederholt, ohne Argument, bloß im unermüdlich wiederkäuenden Gestus, jedes Argument erübrige sich ohnehin, weil die angefeindete Position von vornherein absurd sei – der will sich der Diskussion und damit dem Risiko der Widerlegung gar nicht erst aussetzen. (Zwischenbemerkung Ende).

    (…)

    Friedliche Osterweiterung am Ende

    Die wesentlichen Ergebnisse von „Minsk“

    (…)

    Die Waffenstillstandslinie nach „Minsk“ war also ein jederzeit aktivierbares und eskalierbares Schlachtfeld. Das hat die Ukraine beherzigt, vor allem durch die Ermunterungen der USA, die bei „Minsk“ nicht dabei waren, womit die diesbezüglichen Garantien der Westmächte Frankreich und Deutschland wertlos wurden. Der zitierte Hinweis von Berlusconi, Selenskij „habe den Konflikt eskalieren lassen, indem er die Angriffe auf die separatistischen Republiken Donezk und Lugansk ‘verdreifacht’ habe“, ist ja sachlich richtig, im Zuge dessen hat die Ukraine auch wenig Diskretion an den Tag gelegt, die Waffenstillstandslinie wurde regelrecht als Trainingsgelegenheit für Gefechte benutzt, von der ukrainischen Armee, womit die Lage in den Separatistengebieten immer unhaltbarer wurde. Der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Danilov, erklärte Ende Jänner „Minsk“ für erledigt: Er „warnt den Westen, sein Land zu zwingen, das Friedensabkommen für die östliche Ukraine zu erfüllen, das von Frankreich und Deutschland ausgehandelt wurde. … Als sie unter russischen Gewehrläufen unterzeichnet wurden – und die Deutschen und die Franzosen zusahen – war es bereits für alle vernünftigen Menschen klar, dass es unmöglich ist, diese Dokumente umzusetzen.“ (U.S. News & World Report, 31. Januar 2022)

    Am 21. Februar dieses Jahres 2022 erklärte Putin das Minsker Abkommen für gescheitert – da hat er also nicht mehr „auf Verhandlungen gesetzt“; Moskau verlautbarte die Anerkennung der bisher nur selbst proklamierten Volksrepubliken Donezk und Lugansk; drei Tage später begann der russische Angriff.

    (…)

    Nachdem die derzeitige Meinungsbildung keine Interessen mehr kennt, nur noch Werte, nachdem die Moral überkocht und das verlangt ist, was sonst „Populisten“ und „Querdenkern“ vorgeworfen wird, nämlich einfache Antworten und schwarz-weiß-Malerei – „wir gut, Russ bös!“ –, mal eine Frage an das Publikum: Wenn die westlichen Werte wie demokratische Wahlen oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker oder die territoriale Integrität oder die Absage an den Faschismus so selektiv und situationselastisch gehandhabt werden – könnte es sein, dass der Unterschied von „Gut“ und „Böse“ aus einer langen Liste von Lügen besteht? Was nun?

    https://cba.fro.at/581381