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Björn Hendrig: Fußball-EM 2020: Das war das Festival des Nationalismus

Von • Jul 13th, 2021 • Kategorie: Allgemein

 

Björn Hendrig: Fußball-EM 2020: Das war das Festival des Nationalismus

 

Nur ein Spiel? Nein, denn wieder haben sich nicht einfach ein paar Fußballmannschaften gemessen, sondern Repräsentanten von Nationen.

So gehören Sport und Politik zusammen. Ein Kommentar.

 

„Die Hymne zu singen, das ist wunderschön“, meint Bundestrainer Joachim Löw. „Wenn man ein Turnier gewinnen will, braucht man unglaublich viel Enthusiasmus. Man muss ein Feuer schüren.“

 

Singen „unsere“ Jungs auch wirklich alle mit bei der Nationalhymne?

Schmettern nicht die Italiener und Franzosen viel inbrünstiger die Verse ihrer „National Anthems“? Und ist es da nicht verwunderlich, wenn „die“ „uns“ überlegen und erfolgreicher sind? An mangelnder Technik, fehlendem Talent, falscher Taktik oder einfach zu wenig Spielglück kann es allein nicht liegen.

 

Denn „wir“ sind schließlich eines der erfolgreichsten Länder in Europa (eigentlich sogar das erfolgreichste). Deshalb verkörpern „unsere“ Kicker auch „unseren“ Anspruch, bei einer Europameisterschaft ganz vorn mit dabei zu sein. Wer also schon vor Beginn des Spiels nicht mit Herzblut Vertreter dieses Anspruchs ist, kann es ja wohl während der Begegnung auch nicht mehr werden!

 

Es geht um nichts weniger, als „Ehre“ für die Nation einzulegen. Das gilt nicht nur für die 26 Kicker-Millionäre und den dazugehörigen Trainerstab der Deutschen. Jedes teilnehmende Team bei einem internationalen Turnier wie der Fußball-Europameisterschaft steht für das sie entsendende Land, vertritt dieser Nation zugeschriebene oder selbst behauptete herausragende Eigenschaften:

 

Kämpferische, aber leider meist unterlegene Schweizer (was sich dieses Mal änderte); disziplinierte, nie aufgebende Deutsche („Panzer“!); stolze, elegante Franzosen; eigentlich zu Größerem fähige Portugiesen (waren vor einigen Jahrhunderten Weltkolonialmacht, den Verlust beweinen sie bis heute); beinharte Italiener, aber manchmal launisch und unattraktiv; filigrane Spanier, die sich an ihrer Kunst berauschen und das Wesentliche vergessen (i.e.

Tore schießen); und natürlich die vielen Außenseiter-Nationen von Tschechien bis Nord-Mazedonien, die zwischen mannschaftlicher Geschlossenheit und rührender Einsatzfreude ihre ganz spezifischen National-Charaktere in die Waagschale werfen.

 

Ein logisches Unding wird todernst genommen

Wie 1918 – als „wir“ die Deutschen besiegten

Ein Fußball-Sieg schmeckt süß, ändert aber nichts an der Hierarchie der Staaten

Arrogante Millionäre werden zu nationalen Helden: Sie müssen nur gewinnen

Wenn die Nation ruft, haben Arbeit und Virus frei

Keine Parteien mehr, keine Kämpfe um Geld und Macht: Wir sind ein Volk!

Uefa denkt ans Geschäft – seit wann gilt das im Kapitalismus als Vorwurf?

 

Nur Staaten, die sich nicht in der Wolle haben, dürfen teilnehmen?

Wie soll das gehen?

 

Die Nationen setzen ihr Gegeneinander fort und blenden es gleichzeitig aus

Ein Europameister ist nicht auch der Meister Europas

 

Nun jubelt Italien, und England weint. Gewonnen und verloren haben zwar nur zwei Fußballteams. Und über eine „neue Ära“ oder den Erfolg des „Brexits“ entscheiden andere Dinge.

Aber einen strahlenden Sieger gibt es unabhängig vom jeweiligen Abschneiden der Mannschaften: Die Einbildung eines jeden, mit den zig Millionen anderen Einwohnern seines Staates irgendwie etwas gemein zu haben und dass irgendwie alle eine gemeinsame Sache verfolgen – und wenn es nur der Gewinn einer internationalen Sportveranstaltung ist.

Fortsetzung folgt: Olympia.

 

 

https://www.heise.de/tp/features/Fussball-EM-2020-Das-war-das-Festival-des-Nationalismus-6134336.html?seite=all

6 Responses »

  1. Der auf der contradictio-Site ganz unten aufgelistete Link zu einer Lora-Hör-Datei über den Fußball-Ntionalismus funktioniert nur noch teilweise, dieser Text funktioniert noch.

    https://lora924.de/2014/07/15/die-hoeheren-weihen-der-fankultur-fussball-als-gelebter-nationalismus/

    Vermutlich gibt es stattdessen auch noch andere Links zu weiteren GSP-Artikeln (oder teach-ins?) über den Fußball-Nationalismus, – nicht nur diesen Oldie über ‚Abseits und Andererseits‘ ….

    https://www.msz1974-80.net/UnterordnerMuesz/1974/Fussball.html

  2. Ja, hier finden sich etliche:

    https://de.gegenstandpunkt.com/archiv/nachschlagen/systematischer-katalog/sport-unterhaltung

  3. Vortrag von Jonas Köper von 2014 zu dem Thema Fußball-Meisterschaft:
    https://www.youtube.com/watch?v=XRBU_QXa5DI

    Auch auf https://www.farberot.de/radio/31.html gibt es mehrere Radiosendungen zum Thema, also falls sich jemand lieber auditiv bilden will.

  4. Es gab diesmal eine interessante Weiterung des internationalen Kräftemessens der Nationen
    auf dem Spielfeld – nämlich hinsichtlich des Verhältnisses desselben zur imperialistischen
    Tagespolitik: Sollen sich nationenübergreifende Sportveranstalter wie eine UEFA dezidiert
    aus dem politischen Tagesgeschäft heraushalten, um ganz und gar der Konkurrenz
    der Nationen auf die Gebiete des Spiels und Sports, repräsentiert durch die jeweiligen
    Sportmannschaften, zu frönen, haben welche den Versuch gestartet, die UEFA ein-
    zuspannen in den Kampf der EU gegen ein widerspenstiges, nämlich pur auf seine nationalen
    Eigeninteressen pochendes Ungarn – und dass mit dem Hinweis, dass, wenn eine
    internationale Sportorganisation schon für die Ideale von Humanität, Fairness und
    Vielfalt steht und lebt, dann müsse sie ein Zeichen setzen gegen den V. Orban wegen
    dessen Vergreifens an denselben. Die UEFA hat sich strikt gegen diese Sorte Vereinnahmung,
    Instrumentalisierung aufgestellt, ein Skandal ist letztlich daraus nicht geworden; die
    EU-Imperialisten besorgen es dem Ungarn ohnehin gemäß der „Arbeitsteilung“ internationale
    Sporttreffen mit dem Hochhalten der üblichen Ideale gegen die Quelle immer wieder
    aufkeimender rassistischer Gehässigkeiten (siehe die Verunglimpfung der farbigen
    Englandspieler, die mit vergebenen Elfmetern nationale Schande über Great Britain
    gebracht hätten) einerseits und praktische Weltpolitik in der originären Zuständigkeit
    der wirklichen politischen Macher andererseits.

    Karla Kritikus
    – Buchautorin –

  5. Eine sehr treffende kritische Auseinandernahme des gängigen ideologischen ‚Denkbildes‘ eines sogenannten „ökologischen Fußabdrucks“ liefert  Björn Hendrig bei Heise/TP:

    CO2-Fußabdruck: Wie ein PR-Trick von den Machern des Klimawandels ablenkt.

    „Sind nicht „wir alle“ mit unserem grenzenlosen Konsum schuld an der Klimakatastrophe? Müssen wir nicht deshalb bei uns selbst anfangen, unseren „Fußabdruck“ verringern? Und schon verläuft sich die Spur der Täter.  (…)    

    Zunächst geht es um die Ernährung. Da ist schließlich der Kunde „König“, über seine existenziellsten Bedürfnisse entscheidet er ganz allein! Neben den Kriterien Hunger, Durst und Genuss soll aber nun auch die Klimaverträglichkeit zum Zuge kommen. Da schlägt dann vor allem der Kauf von viel Fleisch, Fisch und per Flugzeug transportiertem, nicht saisonalem Obst und Gemüse negativ zu Buche, wie auch zu viele Milchprodukte und Eier. Allerdings verbessert seine CO2-Bilanz, wer häufiger Lebensmittel mit „Label“ kauft wie „Bio“ oder „Fair Trade“. Auch wer so gut wie nie Essbares wegwirft, kommt besser weg.

    Der Grundgedanke dabei, wie bei den weiteren folgenden Punkten: Die Produktion der Waren und Dienstleistungen, die konsumiert werden, verursacht jeweils bestimmte Mengen an Treibhausgasen, die in die Atmosphäre ausgestoßen werden und damit das Klima aufheizen. Das kann man ziemlich genau berechnen. Beim Abschnitt Ernährung haben manche Lebensmittel eben weniger Ausstoß zur Folge; und wenn bei anderen generell weniger verbraucht würde, wäre ebenfalls dem Klima geholfen.

    Der Haken an dieser Logik: Sie wird vom Ende her gedacht. Der Verbraucher entscheidet nicht, wie all die Lebensmittel hergestellt werden. Er ist lediglich das letzte Glied in einer langen Kette der Anstrengungen der Hersteller und Händler, mit ihren Waren Gewinn zu erzielen.

    Wie die Böden mit Monokulturen, unter Einsatz von Pestiziden, Insektiziden, Fungiziden und allen möglichen technischen Hilfsmitteln und der Natur gegenüber rücksichtslosen Gerätschaften ausgebeutet werden, mit welchen schlecht bezahlten und extrem strapazierten Arbeitskräften dies geschieht, um möglichst viele und vermarktbare Produkte möglichst billig herzustellen – das alles entscheidet nicht der Verbraucher. Er ist nicht dafür verantwortlich und hat es daher auch nicht in der Hand, wie viele klimaschädliche Gase dabei entstehen. (…)  

    Der persönliche CO2-Fußabdruck wirft die ohnmächtigen Empfänger von klimaschädlichen Waren und Dienstleistungen in einen Topf mit deren Herstellern – und mit denen, die diese klimaschädliche Art der Herstellung sowohl grundsätzlich erlauben als auch ihr Grenzen setzen, den staatlichen Instanzen.

    Für das Kapital und den Staat ist diese Gleichsetzung sicher nützlich. Sie schürt zwei Ideologien: Zum einen die Behauptung, der Wirtschaft ginge es um die möglichst optimale Versorgung des Volks mit Lebensmitteln, wozu auch deren Klimaverträglichkeit gehöre. Zum anderen die Vorstellung, dass der Staat nichts mehr im Sinn hat, als die Bevölkerung vor dem Klimawandel zu schützen.

    Wer beides unterschreibt, sieht sich als Teil einer großen Einheit, die zusammen auf ein gemeinsames Ziel zusteuert. So leisten „wir alle“, jeder „an seinem Platz“ unseren Beitrag zur Weltrettung. Die Akteure des Klimawandels sind damit aus dem Schneider.“

    https://www.heise.de/tp/features/CO2-Fussabdruck-Wie-ein-PR-Trick-von-den-Machern-des-Klimawandels-ablenkt-6152267.html?seite=all

  6. Björn Hendrig: Neu im Werte-Westen: Boycott Qatar!

    Jetzt gehört es zum guten Ton, die Fußball-WM in Katar kritisch zu sehen. Auf einmal gerät Geld ebenso ins Zwielicht, wie die Ausbeutung von Arbeitern. Leider ganz verquer zum Wesen der Veranstaltung. Ein Kommentar.

    Wie passt das zusammen: Beinahe kein hiesiges Sportereignis in den letzten Wochen, in dem nicht auf den Zuschauerrängen zu „Boycott Qatar!“ aufgerufen wurde. Dennoch schauen rund 17 Millionen Deutsche zu, wenn in ebendiesem Katar die Nationalmannschaft gegen Spanien spielt – um dann gegen Costa Rica auszuscheiden. Die Bild jedenfalls titelt nach dem Unentschieden gegen die „Selección“: „Hurra, wir leben noch!“ Diese Zeitung muss es ja wissen: Boykott hin oder her, am Ende fiebern „wir“ doch alle, dass „unsere“ Kicker weiterkommen. Wenn auch vergebens, am Ende.

    Es ist , unabhängig von der deutschen Beteiligung, schon seltsam: Da empören sich Fans und ähnlich Fußballbegeisterte über das Ausrichterland der Weltmeisterschaft. Aber die Veranstaltung an sich wird in Schutz genommen. Sie ist eigentlich eine tolle Sache, die man sich gern mit gutem Gewissen ansehen möchte. Leider schwierig dieses Mal, weil der Austragungsort einfach den offiziellen politischen und moralischen Maßstäben nicht genügt.

    Ausnahmsweise staatliche Konkurrenz ohne Erpressung und Krieg

    Der Kicker als nationaler Repräsentant: Benimm Dich auch so!

    Wert-Schätzung: Kritik ja, aber Deutschland muss dabei sein!

    „Respekt“: Waffenstillstand im sportlichen Wettkampf von Nationen

    Diese WM geht gar nicht – oder?

    Es ist also ganz klar: Katar soll sich gefälligst ein Beispiel am Werte-Westen nehmen, gern vor allem an „uns“. Solange das nicht passiert, sind wir sehr empört, halten Banden mit „Boycott Qatar!“ hoch und schalten den Fernseher ganz selektiv und kritisch ein. Aber nach dem Ausscheiden der Deutschen ist die Enttäuschung dennoch groß.

    https://www.heise.de/tp/features/Neu-im-Werte-Westen-Boycott-Qatar-7364839.html?seite=all