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Norbert Wohlfahrt / Johannes Schillo: Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch

Von • Apr 21st, 2023 • Kategorie: Allgemein

Ankündigung:

Norbert Wohlfahrt / Johannes Schillo
Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch
Lektionen in patriotischem Denken über »westliche Werte« | Eine Flugschrift

128 Seiten | April 2023 | im Warenkorb vorbestellen | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-188-5

Kurztext: Im Zentrum der Flugschrift stehen Beispiele, wie in Politik und Publizistik versucht wird, den Ukraine-Krieg zu nutzen, um »patriotisches Denken« und eine vaterländische Kriegsmoral mehrheitsfähig zu machen. Zugleich wird die patriotische Moral, die sich früher einmal durch einen speziellen Friedensidealismus auszeichnete, auf den Prüfstand gestellt.

»Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland.« Mit diesen Worten sorgte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Januar 2023 vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für Aufsehen, auch wenn das später relativiert wurde. »Wir« befinden uns in patriotischer Moral im Kampf gegen das Böse und für das Gute. Hier ist kein Abseits-Stehen und keine pazifistische oder defätistische Dissidenz möglich. Im öffentlichen Diskurs ist seit der »Zeitenwende« das Bekenntnis zu dieser Linie Zulassungsbedingung. Ablehnung, Distanz oder »Kriegsmüdigkeit« (noch einmal Baerbock) können nicht toleriert werden.

Wo in Medien, Wissenschaft oder Bildung dem neuen sittlichen Imperativ nicht entsprochen wird, entsteht sofort Handlungsbedarf. Beispiele listen die Autoren dieser Flugschrift auf – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zugleich stellen sie die patriotische Moral selber, die ja ihre Konjunkturen im Verlierer- oder Siegerstaat, in Friedens- oder Kriegszeiten hat und die sich in der alten Bundesrepublik bis zur »Wende«, ja bis zum Vorabend des Kosovokriegs 1999 durch einen speziellen Friedensidealismus auszeichnete, auf den Prüfstand.


Aus dem Inhalt

Teil 1: Der freiheitliche Westen und sein »völkerrechtswidriger Angriffskrieg«: eine Lektion in patriotischem Denken
Der Kampf Gut gegen Böse | Die Grundlage patriotischer Moral: gewährte Freiheit und der Zwang zur Konkurrenz | Ein »grundloser Angriffskrieg« und die Unbedingtheit »westlicher Werte« | Der russische Neoimperialismus und der Angriff auf die »regelbasierte Weltordnung« | Realoption Atomkrieg | Die »Neue NATO« – konsequente Vorwärtsverteidigung gen Osten | Die postsowjetische Geburt der ukrainischen Nation | Der russische Nationalismus und sein patriotischer »Revisionismus« | Der freie Westen treibt seine Vorwärtsverteidigung voran

Teil 2: Die wissenschaftliche und publizistische Verurteilung des Krieges: eine Lektion in vaterländischer Kriegsmoral
Die publizistische Pflege der Kriegsmoral, »ohne das Geschäft Russlands zu besorgen« | »Nie wieder hilflos« | Streitbarer Militarismus: neue Führungsaufgaben mit den richtigen Werten | Der Feind im Visier einer aufgeklärten Öffentlichkeit | Wissenschaftlich Ungehöriges zum Ukraine-Krieg | Die Sicht der Rechten: Verrat an deutschen Interessen | Der Streit in der Linken: Frieden schaffen mit mehr oder weniger Waffen?

https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/deutsche-kriegsmoral-auf-dem-vormarsch/

3 Responses »

  1. Im Schützengraben
    Formierung der Kriegsmoral. Was sich aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und der westlichen Verteidigung lernen lässt
    Von Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo

    Im zweiten Jahr des Ukraine-Kriegs kann man weder der Politik noch den Medien, ganz zu schweigen von den Vertretern der politischen und anderer Wissenschaften, vorwerfen, dass sie sich groß bei den Gründen für diesen Krieg aufhalten würden. Mit der nichts erklärenden, aber den Feind definierenden Formel vom »russischen Angriffskrieg« ist die Frage des Kriegsgrundes erledigt und die moralische Verurteilung des Kriegsverbrechers Putin und seiner völkerrechtswidrigen Vorgehensweise kann sich in geradezu furchterregender Hemmungslosigkeit verbreiten.

    Patriotisches Denken in Sachen Krieg und Frieden ist angesagt, und das nationale Interesse definieren diejenigen, die den Krieg dazu nutzen, ihre geopolitischen Zielsetzungen voranzutreiben und ihrer Nation mehr Durchschlagskraft zu verleihen. In der Kritik stehen nicht diejenigen, die die Ukraine mit Waffen vollstopfen, damit diese ihre territoriale Souveränität behaupten kann, nicht diejenigen, die gar nicht genug Streubomben und anderes militärisches Gerät bekommen können, um ihrem russischen Todfeind den Garaus zu machen, sondern diejenigen, die für Frieden plädieren und Zweifel an der Formel hegen, dass mit mehr Waffen Frieden geschaffen würde.

    Die Kriegsmoral – die binnen eines Jahres das Denken in Freund-Feind-Kategorien zur patriotischen Hauptaufgabe gemacht hat, die öffentlich-rechtliche TV-Sendungen wie »Können wir Krieg?« als skeptische Volksaufklärung zur Selbstverständlichkeit erklärt und den Militarismus aufs Töten fremder Soldaten spezialisierter Experten geradezu als aufgeklärten Genuss zelebriert – bedarf nicht nur einer Erklärung, sie bedarf auch der Gegenrede.

    Wo der Krieg in seiner öffentlichen Besprechung sich darauf konzentriert, die russischen Verbrechen und die ukrainischen Heldentaten in immer neuen Varianten zu bebildern, sollte doch ein Blick darauf geworfen werden, welche politischen Absichten und Zielsetzungen sich mit der nicht erst seit 2022 umkämpften Ukraine verbinden, warum die USA ihre Rolle des »leading from behind« auch in diesem Krieg ganz offensiv wahrnehmen und warum die europäischen Nationen eine Konkurrenz ganz neuer Art darum führen, wer mit welchen Waffen und Unterstützungsleistungen aus dem Krieg als europäische Führungsmacht hervorgeht.

    Feindschaft der NATO

    Der ukrainische Nationalismus

    Das »eigentliche« Russland

    Von Interessen schweigen

    Mehr als »Frieden«

    Damit lässt sich schlussendlich auch etwas über den Frieden lernen. Denn außer einigen Friedensbewegten geht es keiner der beteiligten Parteien um ihn. Amerika und seine Bündnispartner sehen im Krieg die Chance, die Russen entscheidend zu schwächen, US-Präsident Biden erklärt mit aller Deutlichkeit, dass Amerika die Annexion der Krim niemals anerkennen werde, der NATO-Generalsekretär Stoltenberg verkündet die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine »zu einem späteren Zeitpunkt«, und der deutsche Bundeskanzler betont wiederholt, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen dürfe. Die Ukraine teilt der Öffentlichkeit mit, dass das Abkommen von Minsk Geschichte sei und niemals wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden könne, die Krim statt dessen zurückerobert werden müsse. Der russische Präsident pocht auf die Sicherheitsinteressen seines Landes und warnt vor einer Zerstückelung seiner Nation usw.

    Alle beteiligten Parteien betreiben also mit immer weiter gesteckten Zielsetzungen ihren Krieg. Der Westen munitioniert die Ukraine »mit allem, was sie braucht«, wie die gängige Formulierung von Biden, Scholz und Co. heißt – und ob die Russen einen Atomkrieg anzetteln, schreckt immer weniger. Frieden? Der wird sicher irgendwann kommen. Auf Basis des erreichten Kräfteverhältnisses werden sich dann neue Kriegsziele entwickeln und die Friedensordnung vor immer neue Herausforderungen stellen. Darauf wird sich in der Konkurrenz der beteiligten Staaten schon kräftig vorbereitet und darauf geachtet, gestärkt auch aus diesem Krieg hervorzugehen. Deshalb kann man aus diesem Krieg auch lernen, dass es mit dem Wunsch nach Frieden nicht getan ist.

    Norbert Wohlfahrt ist Professor i. R. für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. ­Johannes Schillo ist Sozialwissenschaftler. Von ihnen erscheint in diesen Tagen unter dem Titel »Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch. Lektionen in patriotischem Denken über ›westliche Werte‹« eine »Flugschrift« im ­Hamburger VSA-Verlag (133 Seiten, 10 Euro).

    Aus: junge Welt – Ausgabe vom 24.05.2023 / Seite 12 / Thema: Ukraine-Krieg
    https://www.jungewelt.de/artikel/451393.ukraine-krieg-im-sch%C3%BCtzengraben.html?sstr=Im%7CSch%C3%BCtzengraben

  2. Zur Kritik der (patriotischen) Moral
    Der VSA-Verlag legt eine Kritik der „deutschen Kriegsmoral“ vor. Aus diesem Anlass hier einige Anmerkungen der IVA-Redaktion zur Moral im Allgemeinen und zur patriotischen im Besonderen.
    https://www.i-v-a.net/doku.php?id=texts23#zur_kritik_der_patriotischen_moral

    Johannes Schillo: Das Vaterland geeint: Antirussische Moral in aller Pluralität durchgesetzt
    Norbert Wohlfahrt und Johannes Schillo über „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“

    „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“ (A. Baerbock). Mit dieser krassen Aussage sorgte die deutsche Außenministerin im Januar für etwas Aufsehen – gilt doch bei dem andauernden Stellvertreterkrieg des Westens gegen die russische Militärmacht nach wie vor als Dogma der deutschen Politik: „Wir“ sind keine Kriegspartei! Als die russische Seite sich über den neuen Klartext beklagte, folgte die Klarstellung aus Berlin. Demnach geht es um die Gesinnung, die für uns und den versammelten Wertewesten zur verbindlichen, nicht hinterfragbaren Norm geworden ist, denn Putin, die Verkörperung des Bösen, hat die Ukraine grundlos angegriffen, so dass wir als die Guten dagegen halten müssen. Wobei die Vertreter der „regelbasierten Weltordnung“ in diesem Moment von ihren eigenen Angriffskriegen nichts mehr wissen wollen…

    Moralisch gesehen befinden wir uns also eindeutig im Krieg mit Russland. Und es gibt jetzt hierzulande wieder eine Obrigkeit, die keine Parteien und keinen Widerspruch im Volk mehr kennen will und die den entsprechenden Patriotismus einfordert – zur Zeit eben „nur“ als die richtige Gesinnung, da ja der Krieg bisher „from behind“ geführt wird und bislang noch kein deutscher Soldat an dem fürchterlichen Gemetzel auf ukrainischem Boden beteiligt ist (bis auf die Freiwilligen aus dem rechten Umfeld, die dort gegen das Böse kämpfen). Ein „proletarisches Einverständnis“ mit der Herbeiführung der neuen Weltkriegslage ist dabei inbegriffen – von einer Arbeiter- oder Gewerkschaftsbewegung, die sich aus einem internationalistischen Geist den nationalen Kriegsherren entgegen stellt, ist weit und breit nichts zu bemerken.

    Bedenken jedweder Art fallen vielmehr unter den Generalverdacht, die politisch erklärte Feindschaft zu Putin zu unterlaufen. Da ist man schnell „Putin-Freund“, vielleicht sogar Wehrkraftzersetzer, hat jedenfalls nichts mehr zu melden, da man nicht umstandslos für das Gute Partei ergreift. So die Kritik der neuen Flugschrift „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“, die Ende Mai beim VSA-Verlag erschienen ist. Parteinahme für den gerechten Krieg, so führt die Schrift aus, ist nicht hinterfragbar, ja selbst ein Hauch von pazifistischer Dissidenz nicht mehr tolerierbar. Im öffentlichen Diskurs ist seit der „Zeitenwende“ vielmehr das Bekenntnis zur antirussischen Linie Zulassungsbedingung. Mit Ablehnung, Distanz oder „Kriegsmüdigkeit“ (Baerbock) hat Schluss zu sein.

    Zur Zielsetzung der neuen Publikation hier ein Gespräch zwischen den beiden Gewerkschaftskollegen Frank Bernhardt (GEW) und Johannes Schillo (Verdi), dem Ko-Autor der Publikation.

    Fallbeispiele der Dissidenz

    Patriotische Moral

    Der Imperialismusbegriff zielt der Sache nach auf die weltweit ausgreifenden kapitalistischen Benutzungs- und Abhängigkeitsverhältnisse, in denen die konkurrierenden Staaten immer wieder mit der Frage konfrontierte werden, ob sie ihre Gegensätze noch aushalten wollen oder zu anderen Mitteln greifen müssen. In der gültigen Weltordnung, die von den USA – nach ihrer eigenen Wahrnehmung: die einzig verbliebene Supermacht – bestimmt wird, ist der Gewalteinsatz zur eigenen Reichtumsmehrung untersagt; in der ökonomischen Konkurrenz sollen die Nationen ihr Mittel suchen. Wo aber dessen Einsatz zu Erfolgen führt, die die überkommene Hierarchie der Staatenwelt in Frage stellen – siehe den Aufstieg der VR China zur Weltwirtschaftsmacht –, oder wo sich ein (schlimmstenfalls atomar unterlegter) Großmachtanspruch zu Wort meldet – siehe die Russische Föderation mir ihren eigenen Vorstellungen einer europäischen Sicherheitsordnung –, muss gegen die Störer mit Gewalt vorgegangen werden.

    Das hat die US-Führungsmacht in endlosen Gemetzeln mal mit, mal ohne ihre NATO-Gefolgschaft, mal mit, mal ohne völkerrechtliche Legitimation durchexerziert. Und dafür ist in Osteuropa nach dem Ende des Ostblock, anknüpfend an den früheren „Rüstungswettlauf“, den Gorbatschow verloren gegeben hatte, eine gigantische NATO-Front aufgebaut und scharf gemacht worden – wobei diese Mal, was natürlich stimmt, der Russe zuerst geschossen hat (wenn man einmal den achtjährigen Bürgerkrieg in der Ukraine seit 2014 beiseite lässt).

    Doch soll man deshalb in der Rivalität der Großmächte Partei ergreifen? In einem Konflikt, der bis zur atomaren Apokalypse eskalieren kann und in dem wie eh und je das Fußvolk der Kapitalstandorte für die Durchsetzung seiner Kriegsherren sein Leben opfern muss? Für Patrioten ist dies eine Konsequenz, die sie zwar erschreckt oder beunruhigt, Einzelne sogar in Dissidenz treibt, die aber im Paket mit drin ist, wenn man in einer rundum freiheitlichen und zur Verteidigung ihrer Werte bereiten Nation leben will (bei Putin soll es natürlich pure Gewaltherrschaft sein, die ihm das Kanonenfutter zur Verfügung stellt).

    Wir versuchen daher in unserer Flugschrift vor allem dieses bemerkenswerte Gebilde einer patriotischen Moral, das für die meisten Insassen eines nationalen Gewaltzusammenhangs als Selbstverständlichkeit gilt, auf den Prüfstand zu stellen.

    Johannes Schillo, Norbert Wohlfahrt: Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch. Lektionen in patriotischem Denken über ‚westliche Werte‘ – Eine Flugschrift. VSA, 128 Seiten, 10 EUR
    https://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/deutsche-kriegsmoral-auf-dem-vormarsch/

    https://overton-magazin.de/top-story/das-vaterland-geeint-antirussische-moral-in-aller-pluralitaet-durchgesetzt/

  3. Die Flugschrift ist nun auch veröffentlicht/direkt bestellbar.