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Suitbert Cechura: Die Freunde der Armen und der Armut

Von • Jun 12th, 2022 • Kategorie: Allgemein

Suitbert Cechura: Die Freunde der Armen und der Armut

 

Seit 150 Jahren entdeckt die SPD unentwegt ihr Herz für Menschen, die zu kurz kommen. Respekt

 

Die Inflation entwertet in Riesenschritten die Einkommen der meisten Bürger des Landes. Die Armen, die es auch hierzulande reichlich gibt, geraten „an den Rand der Verzweiflung“, wie vom Paritätischen Wohlfahrtsverband zu hören ist.

Dass die Preise auf breiter Front steigen, macht allerdings nicht nur die Notlagen der einen deutlich, sondern auch die Erfolge der andern, dass nämlich „Geschäftemacher in Kriegszeiten Hochkonjunktur haben“. Was über Inflation öffentlich verlautbart wird, ist dabei meist ein Fall von Desinformation. Sie wird behandelt wie ein Naturphänomen, dem man sich zu stellen hat:

„Die Inflation ist das Ergebnis von internationalen Krisen, auf die wir nur bedingt Einfluss haben. Die bittere Wahrheit ist: Der Staat kann die Preissteigerungen nicht ungeschehen machen und er kann auch nicht allen helfen. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt gezielt Menschen mit kleinem Geldbeutel entlasten, denn die sind von der Inflation besonders betroffen.“ (Stefan Weil, SPD, Ministerpräsident von Niedersachsen, Bild am Sonntag, 29.5.2022)

Ganz in der Tradition seiner Partei führt der niedersächsische Ministerpräsident sein Herz – oder im sozialdemokratischen Update: den Respekt – für die legendären „kleinen Leute“ vor. Warum es diese Sorte von Menschen gibt, die seit Gründung seiner SPD vor 150 Jahren immer auf Unterstützung angewiesen sind und von ihrem Einkommen kaum leben können, bleibt dabei außen vor.

Dass diese Mühseligen und Beladenen keine kleine Minderheit und damit keine Ausnahme in dieser Gesellschaft darstellen, machen die Äußerungen eines anderen SPD-Politikers deutlich, der sich fast zeitgleich zum selben Thema äußerte:

„Ich bin der festen Überzeugung, dass wir dauerhafte und gezielte Entlastungen für alle mit geringem und mittlerem Einkommen brauchen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Auszubildende.“ (Hubertus Heil, SPD, Arbeitsminister, WAZ, 28.5.2022)

Die sonst so oft gepriesene Wohlstandsgesellschaft bedeutet offenbar für die Mehrheit der Menschen im Lande, dass sie Mühe haben, mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen. Die Anteilnahme der führenden SPD-Politiker geht aber nicht so weit, an diesem Übel etwas Grundlegendes zu ändern; ihr Bestreben zielt vielmehr darauf, diesen Mangelzustand aushaltbar zu machen. Woher er rührt, geht aus den Äußerungen des Ministers im Grunde auch schon hervor: Wer – mangels Kapitaleigentum oder sonstigem „Produktivvermögen“ – von seiner Arbeit leben muss und wer es wegen seines Alters nicht mehr kann oder sich erst noch für den Verkauf seiner Arbeitskraft herrichten muss, hat von Hause aus ein Problem mit seinem Lebensunterhalt.

 

Warum es immer so viele „kleine Leute“ gibt

 

Du bist nicht allein: die besondere Sorge um die Armen

 

„Nicht ohne Grund bilden sich gerade lange Schlangen vor den Tafeln.“ (Weil, Bild am Sonntag)

 

Die Auswirkungen der Preissteigerung beim Fußvolk werden natürlich beklagt. Aber die Ansagen des Kanzlers oder des Wirtschaftsministers deuten darauf hin, dass die Lasten der Inflation bei den Lohnabhängigen verbleiben müssen, dass sie nicht auf andere abgewälzt werden dürfen. Denn: „Bundeskanzler Scholz sieht Lohnpolitik als einen Treiber der Inflation.“

Die Lebenslage der unteren Klasse nachhaltig zu verbessern – was die Sozialdemokratie einst versprochen hatte –, geht also gar nicht. Höhere Löhne würden ja den Gewinnaussichten und der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft schaden. So die klare Ansage. Und damit ist auch klar: Die Klasse der Besitzenden steht im Gegensatz zu denjenigen, die mit ihrer Arbeit den Besitz der anderen schaffen und vermehren.

Das im Namen der „kleinen Leute“ als Angriff auf die Oberklasse auszusprechen, wäre natürlich total veraltetes Klassenkampfdenken. Es als Sorge von oben bekannt zu machen und vor überzogenem Anspruchsdenken bei denen da unten zu warnen, ist dagegen realistische Wirtschaftspolitik, die das Herz auf dem richtigen Fleck hat. Seit 150 Jahren. Respekt!

 

https://overton-magazin.de/krass-konkret/die-freunde-der-armen-und-der-armut/

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