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Theo Wentzke: Berufsbedingte Affirmation

Von • Okt 13th, 2020 • Kategorie: Allgemein

Berufsbedingte Affirmation

Wie historisches Denken geht: Sinn und Zweck der Geschichtswissenschaft im Geistesleben der Nation

Von Theo Wentzke

 

Im Geistesleben der Nationen spielt die Geschichte eine nicht unerhebliche Rolle. Zum festen Bestand eines solchen Geisteslebens gehört es, die Geschichte zum Argument zu machen und sich nach ihrer Bedeutung für uns zu fragen. Nach allgemeinem Dafürhalten geht es hier um nicht weniger als um »unsere Identität«, von der jeder historisch gebildete Mensch weiß, dass sie »in der Geschichte begründet« ist. Es werden Herausforderungen ausgemacht, vor die »uns« die Geschichte stellt; es gilt Lehren aus der Geschichte zu ziehen; und man führt »historisch begründete Rechte« ins Feld, um mit ihnen heute für fällig erachtete Forderungen und Aktivitäten ins Recht zu setzen.

 

Argumentiert wird in den einschlägigen Debatten und Redebeiträgen unbefangen im Namen und vom Standpunkt eines »Wir«, das in der Gegenwart existiert, sein gegenwärtiges Dasein als seine Heimat begreift, und zwar unter Gesichtspunkten, die sich aus der positiven Bezugnahme auf die bestehenden Verhältnisse ergeben: Die Nation, das Recht, die in einer Demokratie wie der unseren herrschende Sittlichkeit, die moderne Staatenordnung, Europa oder der Westen sind für die Angehörigen dieses »Wir« selbstverständlich Werte, Gegenstände also nicht nur ihrer jeweils persönlichen Wertschätzung, sondern solche, die fraglos unser aller Wertschätzung verdienen.

 

Im Namen des »Wir«

 

Adelung der Verhältnisse

 

Außerordentliche Deutungskunst

 

Die Logik des Erfolgs

 

Kulturgeschichtlich betrachtet, das heißt aus der im historischen Denken generell eingenommenen Perspektive der Gegenwart, aus der sich die Geschichte als ein Prozess darstellt, der lauter Kulturleistungen erbracht hat, haben die Raubzüge der Wikinger und die Kreuzzüge abendländischer Fürsten die überfallenen Völker nur der Welt nähergebracht, sie haben ihnen gewissermaßen den Blick über den Tellerrand ihres beschränkten Kulturkreises geöffnet. Wenn die Völker solchen Formen der Kommunikation gelegentlich zum Opfer gefallen und untergegangen sind, so zeigt dies dem historisch denkenden Intellekt nur, dass ihre Kultur eine unterlegene war. Ihre Zeit war abgelaufen. Die Geschichte rückt so etwas zurecht. Umgekehrt ist die »Europäisierung der Erde«, das heißt die in den »Kolonialkriegen« herbeigeführte Unterwerfung der »Völker Amerikas, Afrikas und Asiens« unter die Herrschaft der Europäer als logische Folge der »Überlegenheit der europäischen Zivilisation« zu betrachten, die die Europäer in eben diesen Kriegen unter Beweis gestellt haben. Ein Fortschritt nicht zuletzt auch für die betreffenden Völker, denen die »Europäisierung« ihrer Länder die Teilhabe an einer der ihren überlegenen Zivilisation gebracht hat.

So geht historisches Denken!⁹

 

 

Mehr zum Thema findet sich in dem Aufsatz »Zur Kritik der Geschichtswissenschaft. Die verkehrte Logik und der weltanschauliche Sinn des historischen Denkens«, erschienen in Heft 2/2019 der Zeitschrift Gegenstandpunkt, zu beziehen unter:

https://de.gegenstandpunkt.com

 

Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt am 8. September über Frankreich imperialistische Ambitionen.

 

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 12.10.2020 / Seite 12 / Thema: Kritik der Geschichtswissenschaft

 

https://www.jungewelt.de/artikel/388152.kritik-der-geschichtswissenschaft-berufsbedingte-affirmation.html

 

vgl:

 

„Zur Kritik der Geschichtswissenschaft – Die verkehrte Logik und der weltanschauliche Sinn des historischen Denkens“ (GS 2-19)

Der Ertrag der historischen Betrachtungsweise besteht in der Erkenntnis, dass ‚Wir‘ ein Produkt der Geschichte sind und uns als ein solches zu begreifen haben. Was es da zu ‚begreifen‘ gilt, ist, dass sich dieses ‚Wir‘ einer höheren Notwendigkeit verdankt.

Die Pointe des historischen Denkens besteht eben darin, dass es Sinn und Zweck des in seinen Betrachtungen unterstellten oder auch ausdrücklich von ihm namhaft gemachten Kollektivsubjekts, dessen Schicksal es geistig anteilnehmend verfolgt – ‚unsere Identität‘ –, nicht in dessen gegenwärtigem Dasein und Treiben ausmacht, sondern jenseits davon ansiedelt, in der Vergangenheit. Der Sinn der Wertegemeinschaft, der wir uns zurechnen dürfen, geht nach der Logik dieses Denkens aus der Geschichte hervor und besteht schlicht und ergreifend darin, zu werden bzw. geworden zu sein, was wir heute sind. Der Auftrag dieser Wertegemeinschaft ist es, sich zur Entfaltung und Geltung zu bringen, und in dessen Erfüllung hat auch ihr Dasein, folgt man derselben Logik, seine Rechtfertigung.

 

1. Das Prinzip Vorgeschichte: Ein Quidproquo zwischen Chronologie und Kausalität

2. Teleologie oder: Die Gegenwart bestimmt die Vergangenheit

3. Das Handwerk(szeug) des Konstruierens

4. Die Empirie in ihrer doppelten Funktion – als Material der Konstruktion und als Instanz ihrer Beglaubigung

5. Geschichtsschreibung: Die Wissenschaft erzählt Storys

6. Der Zweck der Veranstaltung: Sinnstiftung

 

https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/zur-kritik-geschichtswissenschaft

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