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Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

[online] 17.03.2009 | Chemnitz | Die Ökonomie des Realsozialismus

Von • Mrz 17th, 2009 • Kategorie: Veranstaltungen

Das Bildungskollektiv Chemnitz lädt ein zu einer Diskussionsveranstaltung zum Thema:

Die Ökonomie des Realsozialismus

Zeit: Dienstag, 17. März 2009, 19.00 Uhr
Ort: Reitbahnstraße 84, Chemnitz
Vortrag und Diskussion mit Mathias Wiards

Wir wollen uns genauer mit der Frage beschäftigen, wie es eigentlich zuging in der DDR-Wirtschaft:
– Wie lief die wirtschaftliche Planung ab?
– Welche Probleme traten dabei auf?
– Welche Rolle spielten dabei Geld, Preise und der „sozialistische Markt“?
– Wie kamen die Realsozialisten eigentlich darauf, ihre Planwirtschaft so aufzuziehen?
– Und: Was bedeutet das für politische Positionen heute, die den Kapitalismus durch eine vernünftigere Wirtschaftsweise ersetzen wollen?

http://bildungskollektiv.blogsport.de/2009/03/01/die-oekonomie-des-realsozialismus/

http://www.amazon.de/Krise-Realsozialismus-Politische-%C3%96konomie-Jahren/dp/3886192873/ref=sr_1_1/280-6267634-3097761?ie=UTF8&s=books&qid=1235953954&sr=1-1

Update:

Die Aufzeichnung wurde im Internet Archive online gestellt:

http://www.archive.org/details/DiekonomieDesRealsozialismus

 

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16 Responses »

  1. Allemal angenehm, dass sich da die Erklärung der Sache vorgenommen wird und nicht, wie man als Linker zu ihr zu stehen hat, oder ähnlichen Käse. Aber kennt jemand das Buch bzw. die groben Positionen des Referenten? Heißt „krisentheoretisch“, dass das ein Kurzianer ist? (Ich weiß: das ist kein Einwand gegen seine Positionen, soll es aber auch nicht sein.

  2. Nein, Wiards kritisiert Kurz.

  3. Als es die DDR beinahe noch gab, Anfang 1990, hat die Marxistische Gruppe sich mal sehr ausführlich mit dem Thema und mit SEDlern auseinandergesetzt (vieles davon ist dann auch in die Publikationen der damaligen Zeit eingeflossen). Die Mitschnitte von damals kann man bei http://www.archive.org runterladen:

    Die Einleitung dazu:
    „Veranstaltungsreihe/Arbeitskreis der MG zur Auseinandersetzung mit dem Sozialismus-Verständnis vor allem von SEDlern Anfang 1990 in Berlin. Referenten waren zumeist Peter Decker aber auch Heinz Scholler, wohl Ende 1989 bis Anfang 1990. (Ursprünglich aus 14 Stücken bestehend sind es jetzt noch drei Teile)“

    http://www.archive.org/details/MG_Peter_Decker_Die_DDR_Oekonomie_Teil_1_5
    http://www.archive.org/details/MG_Die_DDR_Oekonomie_Teil_6_10
    http://www.archive.org/details/MG_Peter_Decker_Die_DDR_Oekonomie_Teil_11_14

    Die Bücher zum Thema kann man immer noch beim GegenStandpunkt Verlag erhalten:

    Peter Decker / Karl Held
    Abweichende Meinungen zur „deutschen Frage“
    DDR kaputt – Deutschland ganz
    Eine Abrechnung mit dem „Realen Sozialismus“ und dem Imperialismus deutscher Nation

    Peter Decker / Karl Held
    Abweichende Meinungen zur deutschen Einheit
    DDR kaputt – Deutschland ganz (2)
    Der Anschluß
    Eine Abrechnung mit der neuen Nation und ihrem Nationalismus

  4. Zu Wiards Buch habe ich folgende Rezensionen gefunden:

    http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1149
    http://www.erinn15.erinnyen.de/rezensionen.htm

  5. Und noch ’ne Rezension (auch ’n Verriss :-)):

    http://www.glasnost.de/autoren/behrend/rezen-wiard.html

  6. Allein über Behrends Satz aus der Rezension

    „Stattdessen wirft Wiards den damals Herrschenden, beginnend mit Stalin, vor, Marxsche Begriffe aus dem „Kapital“ auf die eigene Planwirtschaft übertragen und eine Fortexistenz des Wertgesetzes „simuliert“ zu haben (S. 106 f., 183, 200 und 249) – so als ob dies Gesetz nicht tatsächlich gewirkt hätte. “

    könnte man schon mal reden. Ich halte nämlich dagegen, daß alle Sozialisten, die ausgerechnet dem Wertgesetz im Sozialismus freie Bahn verschaffen wollen, vielleicht dies letztlich schaffen mögen (wie Gorbatschow) aber damit garantiert keinen Sozialismus aufbauen.

  7. Tja, ein Hauptkritikpunkt des Rezensenten von Sozkult ist ja wohl, dass Wiards Prämssen der VWL, wie etwa das Knappheitsdogma, kritisiert und nicht als selbstverständliche Prämissen seine Arbeit hinnimt:

    „Selbstverständlich musste sich auch dieses System dem ökonomischen Grundproblem knapper Ressourcen stellen und ganz offensichtlich benötigte man Preise und damit auch Gewinne nicht nur als Messgröße im Wirtschaftsprozess.“ (So der Autor der Rezension bei Hsozkult über die DDR Wirtschaft, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1149)

  8. Interessent, interessant. Spielte schon vor etlicher Zeit mit dem Gedanken, dieses Buch zu lesen, hatte dann aber aufgrund der Rezension bei HSozKult davon Abstand genommen. Hat es bereits jemand mit Gewinn gelesen?

    @ neoprene

    In der MSZ gab es meines Wissens auch einen Artikel, der genau diese Begriffsumkehr hin zu einer positiven Auslegung des Wertgesetzes als ein dogmatisch angewandtes „Ware-Geld“-Hebelgesetz umformulierte und damit ad absurdum führte. Weiß grad nicht mehr, wie der hieß. Irgendetwas von wegen „mit Hebeln geplant“.
    Aber das ist ja nur ein Gemeinplatz, ebenso wie die Verabsolutierung der Arbeit als dem Leitwert der sozialistischen Gesellschaft. Damit beginnt soweit ich mich entsinne auch einer dieser Vorträge (bei farberot gefunden) aus dem Jahr 1990. Die anschließende Diskussion wird teilweise sehr engagiert durchgeführt, da etliche der anwesenden SED-Ökonomen/Mitglieder gerade ihre Verfahrensweise in Schutz nahmen (einschließlich des Eingeständnisses des Staatsbankrotts), man aber schnell bei Themen war, welche Funktion die Produktion eigentlich innerhalb einer Gesellschaft nur einnahmen kann/könnte/sollte. Wenn ich das richtig erinnere, führte jemand an, dass es insbesondere die Konsumsehnsucht war, welche die DDR-Ökonomie nicht befriedigen konnte. Hier wird dann auf Dinge wie „sozialistisches Menschenbild“ oder „Wesen des Menschen“ abgestellt, geht also schnell ins philosophische. Die Referenten konterkarieren diese Beiträge mit ihren Ausführen zu Zweck und Umstand von Produktion, was einige Anwesende sogar empört („zu radikaler Ansatz“).

  9. In der MSZ 1987 Heft 10 erschien folgender Artikel:

    MIT HEBELN GEPLANT
    1. Die sozialistische Ware
    2. Der sozialistische Gewinn
    3. Der Lohn des Sozialismus

    http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/87/87_10/hebel.htm

  10. Zwei Hefte weiter gab es dann einen Leserbrief eines vermutlich trotzkistisch gesinnten Tübingers, dem die Redaktion unter anderem folgendes entgegenhielt:

    „Gerade weil Du meinst, mit „neuer Klasse“ usw. die KPdSU viel grundsätzlicher zu kritisieren als die MSZ – Du bist gar nicht so weit entfernt von deren Standpunkt: An der Frage, wie geplant wird, ob mit Hebeln oder „direkt“ – so daß das Planen keine anderen als technische Probleme bewältigen muß -, entscheidet sich nämlich, ob die Interessen der Arbeiter zum Zug kommen oder nicht. Umgekehrt: Daß es vor allem darauf anzukommen hätte, wer in wessen Interesse plant und nicht was, genau das ist der Fehler der KPdSU. …
    in bemerkenswerter Ignoranz gegenüber den Erkenntnissen von Marx, daß die Produktion abstrakten Reichtums den Gegensatz zu den Bedürfnisscn der Produzenten enthält, haben die sowjetischen Revolutionäre geglaubt, der kapitalistische Produktionsapparat mitsamt seinen Rechnungsweisen, die allesamt dem Zweck der Vermehrung von Kapital gehorchen, ließe sich im Prinzip für andere gute Zwecke einspannen. … Die Interessen der Arbeiter geltend zu machen, ist ohne eine richtige Kritik der kapitalistischen Ökonomie und deren praktische Konsequenzen nicht zu haben, und das ist keine Frage der politischen Formen oder Organe ihrer Artikulation – Räte, Basis usw. … Daß es keine Frage der „politischen Organe“ ist, beweist z.B. der arbeiterselbstverwaltete jugoslawische Sozialismus aufs schönste: Dort gibt es erst gar keinen Plan, die Arbeiter dürfen bzw. müssen bei jedem Scheiß in ihrem Betrieb mitbestimmen. Davon haben sie nicht das geringste, weil nämlich auch da das Wirtschaften zum Zweck der Gewinnerzeugung und gerechten Verteilung abgewickelt wird.“

    http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/87/87_12/korr.htm

  11. Das Ganze gibt es auch als Vortrag:

    70 Jahre Oktoberrevolution
    Der Weg der KPdSU – Von der Verwirklichung einer Kritik an Staat und Kapital zum Bekenntnis, keine Revolution mehr zu wollen

    Teil 1: Der revolutionäre Wille misst sich an den vorgefundenen Bedingungen und findet „das Kräfteverhaeltnis“
    Teil 2: Neue Ökonomie 1: Kapitalistische Ideale – das Prinzip sozialistischer Produktion?
    Teil 3: Neue Ökonomie 2: Die Praxis der Sowjetwirtschaft – planmäßiger Markt und marktmäßiger Plan
    Teil 4: Neuer Staat: Die Volks-Demokratie
    Teil 5: Neuer Mensch: Staatlich aufgeherrschte und stimulierte Moralität
    Teil 6: Neue Weltlage 1: Erhalt der Sowjetunion statt Revolution
    Teil 7: Neue Weltlage 2: Weltmacht für Frieden und Freundschaft mit den Staaten des Imperialismus

    http://doku.argudiss.de/?Kategorie=hist

  12. Zur Veranstaltung selbst hat jemand vom Bildungskollektiv mittlerweile angekündigt, dass es evtl. eine Aufzeichnung geben wird. Hoffen wir das Beste!
    Ansonsten könnte man den Referenten mit diesem Thema ja auch mal in anderen Städten einladen … 🙂

  13. „Befremdlich für eine vor allem ökonomietheoretische Untersuchung (S. 10) ist auch, dass die eigene theoretische Basis und Methode nicht explizit offen gelegt und reflektiert wird.“

    Harhar … das Buch ist bestellt, die Rezensenten habens drauf angelegt 🙂

  14. Der Vortrag ist leider nicht sehr erhellend, weil er die entscheidende Frage gar nicht behandelt: „An der Frage, wie geplant wird, ob mit Hebeln oder “direkt” – so daß das Planen keine anderen als technische Probleme bewältigen muß -, entscheidet sich nämlich, ob die Interessen der Arbeiter zum Zug kommen oder nicht.“ Gerade weil der Referent selbst mehrmals darauf anspielt, ist insofern der Hinweis von Neoprene auf „70 Jahre Oktoberrevolution“ (Konrad Hecker, München, 1987) nur zu begrüßen.

  15. Habe ich in der „entscheidenden Frage“ gerade die Frage verpasst? Planung mit Hebeln ist ein Schmarrn. Ja. Wenn man dazu aber noch etwas mehr wissen will, sollte man fragen, warum eigentlich. Und wie die Realsozialisten auf den Hebelkram gekommen sind. Kollektiver Wahnsinn? Das ist doch eher selten ein Motor der Geschichte.
    These des Vortrags ist, dass der entscheidende Fehler die offendive „Nutzung“ des kapitalistisch dominierten Weltmarkts durch die Realsozialisten war – und die Anwendung der sog, ökonomischen Hebel ein untaugliches Mittel zur Erreichung dieses Zwecks (und auch aller vernünftigeren Zwecke). Dass „direkte“ Planung die einzig vernbünftige ist, dem ist zuzustimmen. Der Glaube, dass diese direkte Planung doch nur aus ein bisserl Ingenieursgefrickel bestehe und deshalb ganz einfach sei – und die Realsozialisten einfach nur zu dämlich waren, der ist allerdings naiv.

  16. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Hebelwirtschaft sich wirklich in erster Linie der versuchten offensiven „“Nutzung” des kapitalistisch dominierten Weltmarkts“ war. Darauf hoffen konnten doch eh nur die industriell relativ gut ausgestatteten RGW-Staaten, allen voran die DDR und die SU schon wegen deren Größe.

    Mir scheint das von Anfang an gegebene und ja auch in der SED und in den Medien, z.B. in den DEFA-Filmen immer wieder thematisierte Thema der politischen Konfrontation mit dem „Klassenfeind“ in den Reihen der eigenen Bevölkerung gewesen zu sein. Die Umwälzung in der SBZ war doch keine von den dortigen Kommunisten erkämpfte gewesen, sondern eine von der siegreichen Roten Armee geschenkte/befohlene, von der auch nur die paar KPDler was „abbekommen“ haben, die anderen Kommunisten landeten ja schnell in Bautzen. Und das war, vielleicht mit der Ausnahme der Tschechoslovakei und natürlich Jugoslawien doch in ganz Osteuropa so. So wie die SED ihre liebe Not hatte mit „ihren“ Arbeitern“, wie sich ja vor allem 1953 gezeigt hat, so hatte sie erst Recht keinen sonderlichen Erfolg bei der ideologischen Gewinnung der „Intelligenz“, der leitenden Kader, usw. Und da bei denen angesichts der lange offenen Grenze zur BRD deine eine Variante zur Planbefolgung (Drohen) nicht wirklich half, der eigentlich optimale Weg, die Überzeugung von der Vernunft des Plans aber ersichtlich ausblieb, kamen die eben auf die „rettende“ Idee der Bestechung.

    Das Schlimme ist nicht mal so sehr, das sowas schlimm ist. Das Schlimme war in erster Linie die Behauptung, das es nicht schlimm, sondern durch und durch sozialistisch gewesen wäre. Mit dieser Lebenslüge landete man dann mit zwei drei Schritten glatt bei der von dir abgekanzelten Durchsetzung des Wertgesetzes im Sozialismus.

    Es ist deshalb auch kein Zufall, daß bei den späten Reformen in der DDR und anderswo im RGW regelmäßig auf die NÖS-Politik der Bolschewiki hingewiesen wird als leuchtendes Vorbild. Du hast ja zu Recht darauf hingewiesen, daß da aus einer Notsituation ex post zumindest (und sicherlich damals auch von einigen Bolschewiki) ein unumstößlich historisch notwendiger Schritt beim planmäßigen Aufbau des Sozialismus wurde, was doch in Wirklichkeit die Kapitulation der revolutionären Stadt vor dem unwilligen mißtrauischen Dorf war. Höchstwahrscheinlich für die damls in ihrer prekären Situation nicht anders machbar, aber eben kein Ruhmesblatt, auf daß man als Planwirtschaftsaspirant stolz sein könnte.

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