Björn Hendrig: Vermisst: Friedensbewegung
Von webmaster • Aug 9th, 2024 • Kategorie: AllgemeinBjörn Hendrig: Vermisst: Friedensbewegung
Sogar Rüstungsfans fragen sich, wo die Friedensbewegung bleibt. Neue Raketen Richtung Russland, aber niemand schreit auf? Einige schon – aber wie?!
Gründe für eine neue massenhafte Friedensbewegung, wie sie sich Anfang der 1980er-Jahre bildete, gibt es reichlich: Wie damals wollte die USA Raketen mit einer Reichweite in Deutschland stationieren, die Ziele bis tief in Russland erreichen können. Es geht um Marschflugkörper (Cruise-Missiles), Flugabwehrsysteme und Überschallraketen.
Letztere entwickeln die USA derzeit. Sie sind besonders schnell und wendig, können daher von der feindlichen Abwehr nur schwer abgefangen werden. Das gilt auch für die neuen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk BGM 109. Sie peilen Ziele in bis zu 2.500 Kilometer Entfernung an, fliegen in sehr niedriger Höhe mit bis zu 900 Kilometern pro Stunde.
Der Abschuss kann von See erfolgen wie auch vom Boden aus. Zunächst sollen nur konventionelle Sprengköpfe zum Einsatz kommen. Aber sie können durch Atomsprengköpfe ersetzt werden.
Wir hätten gern ein paar richtig weit fliegende Raketen, okay?
Wenn ein deutscher Songtext übersetzt werden muss
Der unverzeihliche Fehler Russlands: Sich aufführen wie eine Weltmacht
Wer rückt hier eigentlich seit Jahren gegen wen vor?
Horrorvision anno 1983: das gefährlichste Jahr im Kalten Krieg
Raketen gegen Russland? Ach ja, muss wohl sein, sagt die Öffentlichkeit
Eine Minderheit sagt dennoch: Nein! Schon mal eine Ansage
Kriege überall in der Welt: schlimm, sicher. Aber hier? Geht gar nicht!
Die Friedensmacht Europa befeuert Kriege und zettelt welche an
Verhandeln? Wenn es vorteilhaft ist – sonst wird weiter geschossen
Verhandeln? Wenn es vorteilhaft ist – sonst wird weiter geschossen
„Mehr Gemeinsamkeit“ in der Staatenwelt? Ein buchstäblich frommer Wunsch
Friedensbewegung mahnt: Aufpassen bei der Kriegsvorbereitung!
Krieg verhindern: Den handelnden Politikern in den Arm fallen
In ein paar Jahren, wenn Deutschland und Europa plangemäß – mit und ohne die USA – militärisch hochgerüstet und mit den entsprechenden nuklearen Potenzen ausgestattet sind, kann das anders aussehen.
Dann sieht sich Russland einer weit größeren Phalanx von kriegsentscheidenden Waffen gegenüber. Nur wird dann nicht in den Krieg abgerutscht, sondern in konsequenter Fortsetzung der gegenwärtigen Kriegsertüchtigung gehandelt. Wie übrigens immer in solchen Fällen.
Eine Bewegung, die eine gezielte Kriegsvorbereitung verhindern will, sollte daher den Handelnden in den Arm fallen – und ihnen nicht mit falschen Erklärungen zugutehalten, nur Getriebene in einem fatalen System zu sein.
https://www.telepolis.de/features/Vermisst-Friedensbewegung-9828309.html
Georg Schuster: Zur Friedensbewegung und ihrem neuen Anlass
Die bundesweite Demonstration am 3. Oktober in Berlin zielt auf eine Wiederbelebung der Friedensbewegung nach Art der 1980er Jahre. Daher die folgenden Bemerkungen zur geplanten ‚Nachrüstung‘ und zu den pazifistischen Antworten darauf.
Wie vor vierzig Jahren schon einmal haben die USA und andere maßgebliche NATO-Mächte, voran Deutschland, eine „Raketenlücke“ entdeckt, die mit Zustimmung der Ampel- und C-Parteien ab 2026 auf hoheitlichem Boden geschlossen werden soll. Und zwar durch zielgenaue Marschflugkörper mit einer Reichweite von mehr als 2000 km, durch ballistische Lenkraketen, die sich gegen fliegende Objekte, Schiffe oder Bodenziele einsetzen lassen, und durch Hyperschallwaffen mit einer halbstündigen Flugzeit bis Moskau.
Von einem parallelen Verhandlungsangebot wie damals beim sog. „Doppelbeschluss“ ist heute nicht die Rede. „Mit der geplanten Stationierung ‚holen wir das nach, was wir als Fähigkeitslücke beschreiben‘, denn Russland habe solche Systeme vermutlich schon länger in Kaliningrad stationiert. Es gehe nicht darum, ‚wettzurüsten und jemanden zu überholen‘, es gehe darum ‚gleichzuziehen‘“, versichert der Verteidigungsminister im Fernsehen. Das Präsidium seiner Partei erklärt den ethischen Hintergrund dieses ‚Gleichziehens‘:
„Als SPD übernehmen wir Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss. Die Vereinbarung der Bundesregierung mit der US-Administration […] ist dafür ein wichtiger Baustein.“
Der grüne Wirtschaftsminister teilt die Schwere dieser Verantwortung und meint deshalb noch erklären zu müssen, warum die ‚Nachrüstung‘ heute sehr verschieden sei von der, gegen die die Vorläufer seiner Partei einmal demonstrieren gingen:
„‚Aufrüstung ist erst mal nichts, mit dem ich mich leichttue‘. Und doch, die Entscheidung für die Stationierung sei notwendig. ‚Wir müssen die Wehrhaftigkeit steigern, weil wir in einer sehr bedrohlichen Zeit leben, die anders ist als in den 80er-Jahren.‘“
Die grüne Fraktionsvize Agniezka Brugger sekundiert:
„Die Situation sei anders als in den 80er-Jahren. Europa habe es heute mit einem brutalen Aggressor zu tun, ‚der alle Regeln des Völkerrechts bricht‘“.
Habeck und Mitstreiter bemühen als Beleg für dieses „Andere“ also den russischen Angriff auf die Ukraine – und geben damit eine absichtsvolle Scheinbegründung zu erkennen.
Denn es dürfte ihnen erstens bekannt sein, dass der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 als ‚Völkerrechtsbruch‘ in gleicher Weise für eine Rechtfertigung der westlichen Aufrüstung herangezogen wurde wie der heutige Ukrainekrieg. Zweitens wissen sie mit Sicherheit, dass die Planungen in Sachen „Raketenlücke“ dem Beginn der russischen Invasion um mindestens vier Jahre vorausgingen.
Eskalationsdominanz
„Raketen sind Magneten“
Friedensmacht
Kurzer Nachtrag zur ‚Perspektive‘
Kleiner Exkurs zur Feindbildpflege
Dass der Russe „womöglich“ Europa erobern will, lässt sich in heutigen Qualitätsmedien einfach so hinschreiben, obwohl es historisch wiederholt eher andersherum war. Immerhin taugt dieses Verfahren dazu, eine Distanz zum Krieg in die Schützenhilfe für den Feind um- und ‚Landesverrat‘ anzudeuten.
Denn „‘Deutschland‘ – definiert als westliche liberale demokratische Lebensweise – ist es wert verteidigt zu werden […], weil es in einem von Russland kontrollierten Staat keine Freiheit gäbe.“ Die Art, wie sich der Volontär die erstrebte Kriegstüchtigkeit seiner zurechtdefinierten Nation plausibel macht, leistet sich zwar das theoretische Unding, die russische Staatsräson als Negation von Freiheit schlechthin zu erklären. Man erfährt aber immerhin, dass diesem Staat die Verteidigung seiner „Lebensweise“ nicht zusteht und dass es sich für die unsrige zu sterben lohnt, aus welchen Gründen auch immer. Ein Autor der alternativen TAZ, Leon Holly (Jg. 96), schreibt sich dann noch von links an die Vaterlandsverteidigung heran und betont, dass sogar ukrainische Anarchisten heute der nationalen Sache beistehen – „um morgen die freie Gesellschaft zu schaffen“.
Das sollten sich vaterlandslose Gesellen wie Nymoen gesagt sein lassen und nicht feige „sichere Häfen suchen, sollten russische Iskander-Raketen in der Friedrichstraße einschlagen“. Und schließlich: „Auch die sozialistische Utopie müsste sich vielleicht eines Tages im Verteidigungskrieg wehren.“ Auch so kann man die Aufforderung an Kriegsgegner einkleiden, gefälligst die linke Schnauze zu halten und einstweilen den erklärten Gegnern der eigenen „Utopie“ zum Sieg zu verhelfen.
https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/zur-friedensbewegung-und-ihrem-neuen-anlass/#comments