contradictio.de

Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

Björn Hendrig: Ukraine, China, Taiwan: Wie die Diplomatie Konflikte begünstigt – und warum

Von • Jun 2nd, 2023 • Kategorie: Allgemein

Björn Hendrig: Ukraine, China, Taiwan: Wie die Diplomatie Konflikte begünstigt – und warum

Solange staatliche Repräsentanten miteinander reden, wird nicht geschossen. Dadurch genießt die Diplomatie ihren Ruf als Gegenpol zum Krieg. Was aber, wenn das ein Trugschluss ist? (Teil 1)

Die Präsidentin eines kleinen asiatischen Inselstaats reist durch Amerika und macht dabei auf dem Rückweg Station in den USA. In Kalifornien trifft sie sich mit dem Vorsitzenden des Repräsentantenhauses. Der gilt zwar in dieser Funktion als wichtiger Politiker, gehört aber nicht der Regierung an. Was ihn nicht davon abhält, der Besucherin Waffenlieferungen zu versprechen. Dies sei der „beste Weg, einen Krieg zu verhindern.

Weit entfernt, auf dem Festland westlich des Inselstaats führt dies zu großer Empörung. Eine Außenamtssprecherin des großen Staates spricht von einer Verschwörung der beiden Länder gegen sich, um seine Souveränität zu beeinträchtigen und sende „ein falsches Signal der Unterstützung“ an Separatisten. Eine Flotte mit Kriegsschiffen wird demonstrativ in die Meeresenge zwischen den Staaten entsandt. Sie unterstreicht damit machtvoll die Kritik an dem Treffen.

Ein aktueller Fall von Diplomatie: Ein Politiker empfängt eine Kollegin im Wissen, dass dies von einem anderen Staat als Affront aufgefasst wird. Und weil das so ist, wird das sogleich mit einer militärischen Aufrüstung verknüpft. Damit die düpierte Gegenseite weiß, wie ernst die Lage ist. Diese wiederum empört sich wie bestellt und droht ihrerseits mit Gewalt. Denn auch ihr ist es sehr ernst damit, ihre Interessen zu verfolgen.

Friedlich ist daran nichts. Sicher, noch wird nicht geschossen. Zu den Gewaltmitteln greifen Staaten schließlich erst, wenn ihre Konkurrenz um Einfluss und Reichtum nicht mehr anders entschieden werden kann, das heißt: Wenn die Beziehungen zwischen ihnen zu unerträglichen Nachteilen einer Seite führen.

Konkret im geschilderten Fall: Die Volksrepublik (VR) China sieht Taiwan als Teil ihres Staates an, versagt also der Insel ihre Anerkennung als souveränen Staat. Offizielles Programm der VR ist daher die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan.

Die USA versichern Taiwan ihre militärische Unterstützung, sollte China den Inselstaat angreifen. China seinerseits bekräftigt mehrmals den Anspruch auf Taiwan und schließt die Anwendung von Gewalt nicht aus – wenn der Anschluss nicht friedlich gelingt. Militärmanöver beider Seiten in der Region unterstreichen die jeweilige Entschlossenheit, wenn nötig Krieg zu führen.

Staaten pflegen Beziehungen in herzlicher Abneigung

Gewaltinhaber treffen aufeinander – und jeder will den höchsten Profit

Wirtschaftliche Übermacht wird mit militärischer abgesichert

Neue Handelsdiplomatie: weniger Abhängigkeiten, viele Geschäfte

So schließt sich der Kreis zur „großen Politik“, in diesem Fall zum eingangs geschilderten Konflikt zwischen den USA und China bezüglich Taiwan. Die „vaterlandslosen Gesellen“ von der Kapital-Fraktion wollen möglichst überall und zu möglichst überall optimalen Bedingungen ihre Geschäfte machen.

Dafür benötigen sie „stabile Verhältnisse“. Sprich, es muss im Ausland für sie gewährleistet sein, dass sie dort problemlos ausbeuten und produzieren können sowie ihre Gewinne sicher sind. Insofern denken sie auch national: Ihr Staat sollte dafür bitteschön sorgen.

Schließlich profitiert er von dem sich dann weiter einstellenden weltweiten Erfolg seiner Unternehmen mit Hauptsitz hierzulande. Die Steuern auf die Gewinne füllen die Haushaltskasse. Und in der Diplomatie bekommt ein solcher Staat entsprechend mehr Gewicht, wenn er mächtige Konzerne hinter sich weiß – die erwähnten Waffen der Konkurrenz.

In den Beziehungen zwischen USA, EU und China bleibt es einstweilen dabei. Wenngleich die Konfliktthemen zunehmen und ein Krieg wegen Taiwan nicht mehr ausgeschlossen wird.

https://www.telepolis.de/features/Ukraine-China-Taiwan-Wie-die-Diplomatie-Konflikte-beguenstigt-und-warum-9069828.html?seite=all

2 Responses »

  1. Björn Hendrig: Diplomatie: Alles andere als friedlich

    Noch beschränken sich die USA und China auf diplomatisches Säbelrasseln. Anders als im Fall von Russland.: Hier herrscht seit dem Angriff auf die Ukraine die Konkurrenz der Waffen – flankiert von den Waffen der Konkurrenz. (Teil 2 und Schluss)

    Die Weltmächte USA und Russland tragen ihre gegensätzlichen Interessen in der Ukraine aus. (siehe auch „Wenn zwei Weltmächte streiten“) Neben den Waffenlieferungen an Kiew befeuern die US-Amerikaner und die EU den Konflikt mit mehreren Sanktionspaketen gegen Moskau. Der freie Weltmarkt gilt für Russland nicht mehr, dessen Wirtschaft soll massiv geschädigt werden.

    Inwieweit dieses Vorgehen Erfolg hat, ist derzeit unklar. Russland wendet sich verstärkt anderen Handelspartnern zu wie China und Indien, verkauft dorthin Öl und Gas. Von einem wirtschaftlichen Desaster ist Moskau noch recht weit entfernt, wie westliche Beobachter zähneknirschend zur Kenntnis nehmen.

    Wäre dann nicht gerade in dieser Situation wieder Zeit für Diplomatie? „Wer redet, der schießt nicht“, bemerkte schließlich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Gesprächen im sogenannten „Normandie-Format“ Ende Januar 2022, kurz vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

    Rund acht Stunden hätten Berater der Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Ukraine und Russland verhandelt – nachdem zuletzt 2019 solche Gespräche stattgefunden hatten. Baerbock hatte dies in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag als gutes Zeichen gewertet.

    Zu bieten hatten die westlichen Diplomaten der russischen Gegenseite aber offenbar herzlich wenig. Von der Perspektive der Ukraine in der Europäischen Union und der Nato rückten die Politiker nicht ab. Damit erteilten sie dem russischen Sicherheitsinteresse zum wiederholten Mal eine Absage: nämlich der Forderung nach einer militärisch neutralen Ukraine, die nicht als Aufmarschgebiet westlicher Raketen gegen Moskau dient.

    Wenig später griff Russland die Ukraine an. Die Politik habe „versagt'“ heißt es in solchen Fällen stets, auch dieses Mal. Nur, an welchem Maßstab gemessen haben hier Politiker ihren Job nicht gemacht?

    Wer acht Stunden zusammenhockt, und am Ende geht man ohne ein Ergebnis auseinander – da wird man sich sicher nicht acht Stunden angestarrt und nichts gesagt haben. Sondern die eine Seite hat offenbar darauf beharrt, die Ukraine als Frontstaat gegen Russland aufzurüsten.

    Und die andere hat erklärt, dies nicht dulden zu wollen. Gewiss, ob dafür unbedingt acht Stunden nötig waren… Denn zuvor hatte der Westen den russischen Standpunkt immer wieder laut ignoriert. Was sollte also bei einem solchen Treffen herauskommen?

    Nun, das weiß man vorher halt nicht. Und es ist für die jeweilige Seite interessant, ob die eigene Drohung doch verfängt, mithin die andere Seite zu Zugeständnissen bereit ist. Im Fall Ukraine nahm die russische Seite aber nach mehreren Monaten der Ablehnung seines Sicherheitsinteresses durch die Gegenseite zur Kenntnis: Einer ernsthaften Erwägung geschweige denn Berücksichtigung ist dieses Anliegen aus Sicht der USA wie auch in deren Schlepptau Deutschlands und Frankreichs nicht würdig.

    Krieg ist die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln

    Gewaltträchtige Verhandlungen und gewalttätige Handlungen gehören zusammen

    Diplomatischer Austausch: Erfahren, was der Andere kann und vorhat

    Im diplomatischen Austausch – sachgerecht ergänzt durch gegenseitige Spionage – erkunden Staaten die jeweiligen ökonomischen und militärischen Potenzen. So erfahren Sie, was sie sich im Verhältnis zum Ausland erlauben können; und welche Mittel sie benötigen, um sich durchzusetzen im Wettstreit um Einfluss und Reichtum in der Welt.

    Friedlich ist daran nichts. Schließlich fallen Menschen ganz ohne Gewehre täglich aufgrund von Hunger, Armut, Krankheiten und vielen anderen Grausamkeiten dem Konkurrenzkampf der Staaten zum Opfer.

    Mit Gewehren wird dieser Kampf ausgetragen, nicht weil „Politik versagt“ – sondern weil Politiker sich entscheiden, dass ein für sie unhaltbarer Zustand eingetreten und deshalb mit Gewalt zu korrigieren ist. Das können sie allerdings nur tun, wenn das Volk ihr Leiden teilt. Aber das ist ein anderes Thema.

    https://www.telepolis.de/features/Diplomatie-Alles-andere-als-friedlich-9069836.html?seite=all

  2. Björn Hendrig: Kriegsverbrechen

    Teil 1: Was ist eigentlich ein „Kriegsverbrechen“?
    In Kriegen gehen Staaten mit allen Mitteln der Gewalt gegeneinander vor. Ein Verbrechen ist das nicht per se. Es kommt darauf an, wer sie zur Anklage bringt.
    https://www.telepolis.de/features/Was-ist-eigentlich-ein-Kriegsverbrechen-9227429.html?seite=all

    Teil 2 und Schluss: Kriegsverbrechen? So ist er, der Feind
    Töten im Krieg wird vom Völkerrecht gedeckt, sofern militärisch begründet. Was damit nicht zu rechtfertigen ist, gilt als Kriegsverbrechen. Es ist allerdings kompliziert: So soll Putin auf die Anklagebank, Selenskyj hingegen nicht.
    https://www.telepolis.de/features/Kriegsverbrechen-So-ist-er-der-Feind-9227437.html?seite=all