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Suitbert Cechura: Sorge um sozialen Frieden

Von • Apr 9th, 2021 • Kategorie: Allgemein

Suitbert Cechura: Sorge um sozialen Frieden

Streit um Worte oder Pflege der sozialen Kultur? Anmerkungen zur Debatte um das „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“.

 

Der Streit innerhalb der Großen Koalition um das Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat die Öffentlichkeit wenig bewegt und wurde lediglich von den Verbandsvertretern und vonseiten der Gewerkschaften ausführlicher kommentiert.

Anlass für die Reform ist der Bedeutungsverlust der Vertretung deutscher Arbeitnehmer durch Betriebsräte – eine fortschreitende „Erosion der betrieblichen Mitbestimmung“, wie sie etwa von der Linken beklagt wird (Junge Welt, 01.04.2021). Die SPD hatte seinerzeit eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in die Koalitionsvereinbarung eingebracht und Arbeitsminister Hubertus Heil im Dezember 2020 einen Referentenentwurf mit dem Titel „Betriebsrätestärkungsgesetz“ vorgelegt. Der schlummerte einige Monate in der Koalitionsabstimmung und löste Stellungnahmen vonseiten der Unternehmer und Gewerkschaften aus.

Von politischer Seite wurde die Dringlichkeit des Vorhabens unterstrichen: NRW-Arbeitsminister und Vorsitzender der CDU-Arbeitnehmerschaft Karl-Josef Laumann sah in der schwindenden Vertretung durch Betriebsräte eine Gefährdung der „deutschen Sozialkultur“ und sogar der deutschen „Staatsräson“ (WAZ, 27.02.2021).

Inzwischen hat der Entwurf das Kabinett passiert und zur Änderung des Titels geführt, aus dem Betriebsratsstärkungsgesetz wurde das Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Die Chancen der Verabschiedung sind gestiegen, es ist nur nicht leicht nachzuvollziehen, wieso es überhaupt einen Streit um dieses Gesetz gab und wieso ein Arbeitsminister gleich die höchsten Werte der Nation beschwört.

 

Ein Verstoß gegen den „Betriebsfamilienfrieden“

Wirtschaftsdemokratie unterbindet Klassenkampf

Wichtige Regelung von Kündigungen

Neue Herausforderungen = neue Kampfansagen

Eine gewerkschaftliche Erfolgsgeschichte

 

Die Gewerkschaft braucht für ihre Politik Mitglieder, die Beitrag zahlen, sich als Wähler funktionalisieren lassen oder als Betriebsräte das Unternehmen mitgestalten wollen; sie braucht Mitglieder, die in Tarifkämpfen als Statisten bereitstehen, mit Gewerkschaftsweste oder -kappe, mit Trillerpfeifen oder Fahnen durch die Straßen ziehen und die besagte kämpferische Pose einnehmen.

DGB-Gewerkschaften sind dabei alles andere als Kampforganisationen, die wegen des Gegensatzes von Kapital und Arbeit Arbeitnehmer auffordern, ihre Konkurrenz untereinander aufzuheben und mit ihrer Solidarität ein Druckmittel gegenüber Unternehmern aufzubauen.

DGB-Gewerkschafter wollen wegen der Abhängigkeit der Belegschaften vom Erfolg des Unternehmens diesen mitgestalten und die negativen Folgen für die Arbeitnehmer mitverwalten. So erklärte DGB-Chef Reiner Hoffmann („Für mehr Demokratie im Betrieb“, 31.03.21) zur geplanten Modernisierung, dass „Arbeitgeber, die lautstark ein Moratorium fordern, nichts anderes (wollen) als Stillstand.

Den können wir angesichts des rasanten Wandels in der Arbeitswelt nicht gebrauchen.“ Dass der Erfolgskurs der deutschen Wirtschaft ins Stocken geraten könnte, ist für den DGB-Chef wohl der größte anzunehmende Unfall…

So werden Gewerkschafter zu Co-Managern – und als solche auch in Großbetrieben wie Manager entlohnt. Von daher ist es für den DGB kein Verrat an Arbeitnehmerinteressen, wenn seine Funktionäre gleich als Arbeitsdirektoren oder Personalvorstände in den Vorstand des Unternehmens oder den Aufsichtsrat wechseln.

Für diesen Einsatz werden die DGB-Gewerkschaften auch von der Politik geschätzt, mit deren Hilfe sie bei Gelegenheit ihr Monopol gegenüber der aufkommenden Konkurrenz von Spartengewerkschaften schützen lassen, zuletzt durch das Tarifeinheitsgesetz.

DGB-Gewerkschaften machen mit dieser Politik keinen Fehler, sie wollen nicht viel anderes als Stillstand bei den Wachstumsstrategien des deutschen Standorts verhindern. Wer mehr will als diese „Interessenvertretung“ durch deutschnationale Gewerkschaften, muss sich organisatorisch also etwas anderes überlegen.

 

 

https://www.heise.de/tp/features/Sorge-um-sozialen-Frieden-6007399.html?seite=all

One Response »

  1. Suitbert Cechura: Die Erlaubnis, sich versammeln zu dürfen

    Die schwarz-gelbe Regierung von NRW bringt ein Versammlungsgesetz ein, das Veranstalter und Leitung von Demonstrationen stärker in Haftung nehmen will.

    Die Grundrechte auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) des Grundgesetzes bilden die rechtliche Grundlage für Demonstrationen. Bundeseinheitlich wurde in einem Versammlungsgesetz festgelegt, unter welchen Bedingungen Meinungen geäußert und Versammlungen sowie Demonstrationen durchgeführt werden dürfen.

    Mit der Föderalismusreform vom August 2006 ging die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht in die Regie der Länder über. Einige Länder haben bereits ihre Versammlungsgesetze verabschiedet, so Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Schleswig-Holstein. In Berlin ist ebenfalls ein Gesetz in der Diskussion.

    Die NRW-Regierung will jetzt ihr Versammlungsgesetz am 30. 6. 2021 im Landtag beschließen lassen. Warum sich die Regierung 15 Jahre nach der Reform bemüßigt sieht, das weiterhin gültige Bundesgesetz durch ein Landesgesetz zu ersetzen, kann man nur vermuten. Einfacher wird es damit jedenfalls nicht, sich zu Demonstrationen zu versammeln. Der Entwurf ist daher auch gleich auf Kritik bei Initiativen gestoßen, die bereits Protestaktionen durchgeführt und zu weiteren aufgerufen haben (unter dem Hashtag #noVersGNRW wird zur Zeit der Protest in den sozialen Medien verbreitet).

    Bevor man zur Verteidigung des aktuellen Rechtszustandes aufruft, sollte man sich jedoch über diesen Klarheit verschaffen.

    Grundgesetzlich geregelt: Meinen & Versammeln

    Reform auf nordrheinwestfälisch

    Fazit: Fast alles beim Alten

    Der Bürger kann sich beim Meinen und Meinungsäußern frei bewegen, eben im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Er darf seinen Unmut äußern, er hat „nur“ auf jeden Anspruch, dass er damit in die Öffentlichkeit vordringt, und auf jeden Anschein, dass er auf seinen politischen Vorstellungen besteht, zu verzichten.

    Brave Bürger und Bürgerinnen in NRW brauchen sich daher keine Sorgen zu machen, ihr Recht auf eine eigene Meinung und darauf, sie lautstark, wenn auch folgenlos zu äußern, wird ihnen nicht genommen. Allen anderen wird eine demokratische Lektion erteilt (die, wenn sie etwa die russische oder chinesische Opposition beträfe, natürlich gleich als dicke Menschenrechtsverletzung erkennbar würde) – eine Hilfestellung für den freien Bürger, damit er sich im richtigen Rahmen bewegen kann.

    Dafür soll jetzt das neue Versammlungsgesetz mit einem umfassenden Katalog von Strafen und Ordnungsgeldandrohungen versehen werden, die ganz bürgernah darüber Mitteilung machen, wo dieser Rahmen überschritten wird – wobei natürlich immer im Einzelfall die Sicherheitskräfte über die Auslegung der gesetzlichen Regelungen bestimmen.

    https://www.heise.de/tp/features/Die-Erlaubnis-sich-versammeln-zu-duerfen-6026276.html?seite=all