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Johannes Schillo: Antimilitarismus und „Volksaufstände“ von rechts? | Wegbereiter des Faschismus

Von • Jul 25th, 2022 • Kategorie: Allgemein

Johannes Schillo: Antimilitarismus und „Volksaufstände“ von rechts?

Politik und Mainstream-Medien beschwören Gefahren, die der Republik im Herbst drohen: Protest gegen Krieg, Aufrüstung und Verelendung – ein einziges Werk des Rechtsextremismus?

Steht die Welt auf dem Kopf? Antimilitarismus und Antikapitalismus ein Werk rechter Maulwürfe, die berechtigte Ängste der Bevölkerung ausnutzen, um unsere „liberale Demokratie“ zu delegitimieren, ja zu unterminieren? Droht hier ein „heißer Herbst vor kaltem Winter“ (General-Anzeiger, 18.9.22)?

Die deutsche Innenministerin hat bereits kräftig in diese Kerbe gehauen und davor gewarnt, „dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen“ (Junge Welt, 19.7.22). Dabei beschwor sie speziell die Gefahr, dass ein Bündnis „mit Rechtsextremisten“ zustande käme. Drei Tage später ergänzte Außenministerin Baerbock dieses Szenario und sah schon „Volksaufstände“ am Horizont auftauchen (FAZ, 22.7.22). Wenn Protest dann wirklich stattfinden sollte, ist jetzt bereits klargestellt, dass öffentlicher Einspruch so oder so – sogar wenn er aus der Mitte der Gesellschaft kommt – extremistisch und damit ein Fall für den Staatsschutz ist.

Grüne oder christliche Politiker wie Baerbock oder Merz werfen den Deutschen mittlerweile „Kriegsmüdigkeit“ vor. Und ein grüner Landeschef wie Baden-Württembergs Kretschmann weiß gleich, welche vom Ausland gesponserten Kräfte dahinter stecken: „In Wirklichkeit sind Sie nichts anderes als die Schoßhunde von Putin“, rief er im Landtag der AfD-Fraktion zu; die Partei führe sich „als fünftes Rad am Wagen eines Aggressors“ auf (Die Zeit, 20.7.22). Dabei missriet ihm im Gegeifer des Gefechts auch noch das Bild von der Fünften Kolonne, das von seinen demokratischen Kollegen bereits ausgiebig gegen diverse Kritiker des Kriegskurses in Stellung gebracht wurde.

Die AfD – die neue Protest- und Friedenspartei

„Brandreden“ eines selbstbewussten Nationalismus

Wenn also jetzt der ehemalige Law-and-Order-Minister par excellence, Otto Schily (erst Grüne, dann SPD), zum Schulterschluss mit AfD-Fraktionschef Chrupalla findet und vor „Bellizismus“ sowie einer „wirtschaftlichen Überforderung Deutschlands“ bei der Unterstützung der Ukraine warnt, dann eint diese Opposition das Bestehen auf dem Nationalinteresse Deutschlands. Und sie sind sich im Grundsatz auch mit einem SPD-Klingbeil einig, der in seiner programmatischen Rede vor der Ebert-Stiftung der Meinung war, „80 Jahre Zurückhaltung“ seien für Deutschland genug. Das ist genau das, was die AfD mit ihrem Angriff auf die deutsche Erinnerungskultur als „Schuldkult“ schon immer im Auge hatte: Eine selbstbewusste Nation macht endlich Schluss mit dem ganzen Erinnerungsgedöns und blickt nach vorn.

Und so ist das etwas gewagte Bismarck-Zitat, mit dem der AfD-Mann Kestner im Dezember 2019 seine Rede im Bundestag schmückte, heute im Grunde Allgemeingut: „Die Armee ist die vornehmste aller Institutionen in jedem Lande; denn sie allein ermöglicht das Bestehen aller übrigen Einrichtungen.“ Dazu steht die AfD in Treue fest – also hat ihr Gemecker über die Kosten der Freiheit, die Deutschland aufgebürdet werden, mit antimilitaristischer oder pazifistischer Opposition nicht das Geringste zu tun. Die Partei ist eher brandgefährlich, aber welche Partei, die zur Zeit etwas zu sagen hat, ist das nicht?

https://overton-magazin.de/krass-konkret/antimilitarismus-und-volksaufstaende-von-rechts/

 

UND

 

Johannes Schillo: Wegbereiter des Faschismus

Das rechte Lager in Deutschland und Europa sortiert sich neu, Zeitenwenden machen es erforderlich.

Doch auch der Neofaschismus kann mit politischem Pluralismus auf seinem Weg, die wahre Einheit von Volk und Führung herzustellen, etwas anfangen.

In den osteuropäischen Ländern werden mit Russlands Angriff auf die Ukraine die Karten neu gemischt. PiS und Fidesz, die im Frühjahr 2021 noch eine engere Zusammenarbeit unter Einschluss der italienischen Lega vereinbarten – angestossen durch Orbans Initiative für ein politisches Bündnis rechtsgerichteter Parteien auf europäischer Ebene –, sind nicht mehr auf derselben Linie. In Frankreich trat bei den Präsidentschaftswahlen der Rechtsradikalismus gleich damit an, dass er eine gemässigte (Le Pen) und eine geschärfte Variante (Zemmour) bot.

Im Wahlkampf stand dabei die Migrationsfrage im Vordergrund, während dies bei der AfD in Deutschland momentan nicht das vorrangige Aufregerthema ist. Mit dem Krieg im Osten hat die deutsche Willkommenskultur ein neues, militant-patriotisches Gesicht bekommen (siehe „Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik“ – und Putin-Nähe ihre Attraktivität eingebüsst. So macht sich rechts eine gewisse Verunsicherung breit. Im Landtagswahlkampf NRW tritt die AfD z.B dafür ein, dass die Inflation bekämpft wird, und stellt als ihr Alleinstellungsmerkmal heraus: „Die einzige Partei ohne Gender-Ideologie“. Auf Bundesebene benennt sie als drängendes

Problem: „Bundestag endlich deutlich verkleinern!“

Unabhängig von den aktuellen Problemen der politischen Positionierung ist aber der rechtsradikale Aufbruch, der mittlerweile auch mit einigem intellektuellen und publizistischen Aufwand betrieben wird (siehe: „Scharf rechts – Ideologieproduktion aus dem Geist des nationalen Mainstreams“, nicht zum Stillstand gekommen.

Von Thilo Sarrazin (Ex-SPD) bis Jürgen Elsässer (Ex-Konkret) ist etwa ein breites Spektrum auffälliger Figuren hervorgetreten, die sich selbst und ihr Publikum nicht am rechten Rand verorten, sondern sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus oder quer zum Links-Rechts-Schema zu Wort melden wollen. Protagonisten dieses Rechtstrends widmet sich eine neue Schriftenreihe des Argument-Verlags (Hamburg), in der Klaus Weber und Wolfgang Veiglhuber Ende 2021 und Anfang 2022 die ersten Bände vorgelegt haben.

„Gestalten der Faschisierung“

Neofaschistische Leitbilder

In diesem Sinne hält auch der Schluss von Veiglhubers Analyse fest, dass Wagenknecht für ihre Art des Brückenbauens kein Urheberrecht hat. Die Kritik des Autors macht vielmehr deutlich, dass „die Geschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung viele Beispiele bereithält, anhand deren die Sehnsucht nach ‚nationaler Identität‘ – mit dem entsprechenden Schaden für die Lohnabhängigen im Gefolge – nachgewiesen werden kann.“ (Nr. 2, S. 257)

 

https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/peter-sloterdijk-wegbereiter-des-faschismus-7035.html

2 Responses »

  1. Johannes Schillo: Verarmung und Spaltung – neuerdings nur durch Putin?

    Wenn Ungleichheit als Werk einer fremden Macht gilt und Gewerkschaften und Armutsforschung sich gleich mit um den nationalen Schulterschluss kümmern.

    In Deutschland gibt es, nicht zu knapp, materielles Elend. Die Armut der Lohnabhängigen ist – spätestens, seit „Rot-Grün“ vor 20 Jahren eine regierungsoffizielle Armuts- und Reichtumsberichterstattung beschloss – ein anerkanntes Thema. Sozialverbände sind hier aktiv, machen regelmäßig Rückmeldung. Auch das Statistische Bundesamt hat im August wieder Zahlen zur Armut in Deutschland 2021 veröffentlicht.

    Und natürlich haben die Menschen, die vor der Notwendigkeit stehen, „durch Zusammenhalt wirksame Gegenmacht gegen Arbeitgeber- und Kapitalmacht zu schaffen“ (DGB-Grundsatzprogramm), ein eigenes Vereinswesen auf ihrer Seite – nämlich die zahlreichen Gewerkschaften, die es hierzulande im (und auch neben dem) Dachverband DGB gibt und die in vielstimmiger Form Klage führen.

    Die „Rückkehr der sozialen Frage“

    Armut „eher verharmlosend“ dargestellt

    Und die Gegenwehr?

    Klassenübergreifender Aufruf zum Durchhalten

    Politik und Massenmedien beschwören hierzulande ja schon die Gefahren, die der Republik im Herbst drohen. Protest gegen Krieg, Aufrüstung und Verelendung soll man sich demnach als ein Werk des Rechtsextremisten vorstellen. Bevor noch der erste Pflasterstein geflogen kommt, steht die Republik also schon in Hab-Acht-Stellung. Und alle Verantwortlichen wissen: Wer jetzt noch gegen die nationale Formierung die Klappe aufmacht, ist im Grunde ein Fall für die Extremismusbekämpfung.

    Und wer das noch nicht aus den Nachrichten wusste und die Reden von Bundeskanzler Scholz oder Wirtschaftsminister Habeck verpasst hat, bekommt es jetzt noch einmal schriftlich von der Gewerkschaft und darf, wenn er einen Namen hat, unterschreiben.

    https://www.heise.de/tp/features/Verarmung-und-Spaltung-neuerdings-nur-durch-Putin-7216949.html?seite=all

  2. Das Werben Schillos für die „Argument“-Reihe „Gestalten der Faschisierung“ hält einer sachlichen
    Prüfung im Falle S . W a g e n k n e c h t nicht stand.

    Wagenknecht-Nationale Sitten und Schicksalsgemeinschaft…
    Klaus Weber et al.
    Argument-Sonderreihe: Gestalten der Faschisierung – 2022

    Bei aller Absetzung von Wagenknecht, wie diese rechtes Denken und Politik als Linkssein salonfähig
    macht: es sind begründete Zweifel angebracht, dass die Argument-Autoren die Fehler der
    Links-Ikone treffend aufspüren.

    Dies sei an der Auseinandersetzung entlang der Begrifflichkeiten Gemeinschaft und Gesellschaft aufgezeigt.

    Wenn W. bedauert, dass Gemeinsinn und Gemeinwohl angeblich aus dem Sprachgebrauch
    verschwunden seien, so wird nicht etwa das Lügenhafte dechiffriert, dass laufend die bürgerlichen Untertanen unter Titeln wie gesellschaftlicher Zusammenhalt von der politischen Elite neben
    ihrer zwangsweisen Einsortierung in die bürgerlichen Herrschafts- und Produktionsverhältnisse
    für die ihre individuellen Interessen vernachlässigende Zugewandtheit zum kapitalistischen
    Gemeinwesen, Staat, Nation agitiert werden. Statt beim Wort zu nehmen, wie mit
    Gemeinwohlorientierung dem ziemlich totalen Abstandnehmen vom Materialismus des Einzelnen
    das Wort geredet wird, steigen sie auf das Fiktionale des Verlustes der Gemeinschaftsorientierung
    so ein, dass man sich mit dem Gehalt von letzterem selbst eben nicht länger aufhalten solle,
    sondern es angemessener sei, die „sozio-ökonomischen Grundlagen der Sprech- und
    Sprachveränderung zu erkunden.“

    Allerdings hebt durchaus eine Kritik von Weber und Co. an, die wiederum der Kennzeichnung des
    Anti-Materialistischen des Gebots des Gemeinschaftlichen des Wagenknecht-Sprech aus dem
    Weg geht – und stattdessen diesem vorhält, dass der sich nicht an dem hält, was lt. Argument-
    Leuten anstünde: das Gesellschaftliche mit seinen Widersprüchen und Gegensätzen gelte es herauszukehren, noch dazu im Zeitverlauf (die „historisch verändernden Zugehörigkeiten zu
    Kollektiven“ würde von W. vernachlässigt), statt einer Naturwüchsigkeit des Gemeinschaftlichen anzuhängen. Letzteres stimmt so gar nicht: der Aufruf zu Gemeinsinn macht überhaupt nur Sinn
    angesichts gesellschaftlicher Verhältnisse geballter Gegensätzlichkeiten zwischen Klassen und
    derselben zum Staat, die sich in ihrem Gemeinwohlbezug gerade zurücknehmen sollen bzw. ihr Eingehaustsein als Lohnarbeiter einerseits und Kapitalist andererseits in nationaler Dienstbarkeit
    aufgehen lassen sollen, keinen Unterschied kennend zwischen sich und der Nation.

    Andererseits: in den Zitaten, worauf sich bei Wagenknecht bezogen wird: „Menschen leben in Gemeinschaften und sie brauchen das Miteinander… Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen“,
    wird hier in einem Abstraktionsgrad von einem „Miteinander“ dahergefaselt, dass jede Charakte-
    risierung dessen, wie die Subjekte in den hiesigen bürgerlichen Verhältnissen aufeinander
    bezogen sind, herausgekürzt, wiewohl in dem ausgänglichen Wagenknechtschen Aufruf zu mehr Gemeinsinn dieser auf der Grundlage sich ausschließender Interessenlagen ergeht – darüber,
    über die „Naturalisierung des Gemeinschaftlichen“ erhält das Gebot der Gemeinsinnigkeit, das das faktische Gegeneinander von Klassen unterstellt, gerade eine Extra-Betonung, ist also keine bloße
    falsche Lesart der W. unter Ausblendung des Gesellschaftlichen nach Dafürhalten der Argument-
    Autoren: W. hebt ein abstraktes Miteinander auf eine Ebene mit dem nationalen Wir; fragt sich nur,
    warum letzteres als Allgemeinwohlgebot angeblich nicht so recht zum Zuge kommen würde, wenn
    doch im Menschen als „Gemeinschaftswesen“ die besten Voraussetzungen dafür vorliegen täten.