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Peter Decker: Russland ringt um seine Machtrolle

Von • Mrz 28th, 2022 • Kategorie: Allgemein

Peter Decker: Russland ringt um seine Machtrolle

 

(Teil 1)

 

Mitten in unserem schönen Europa mit seiner wunderbaren Friedensordnung auf einmal wieder Krieg? Wie konnte es bloß dazu kommen? Ja, wie nur? Auf einmal, mitten im schönsten Frieden, ist da jedenfalls nicht ein Krieg ausgebrochen. Er ist auch nicht aus unerfindlichen Gründen von irgendeinem durchgeknallten russischen Autokraten vom Zaun gebrochen worden.

Auch in dem Fall gilt: Die Gründe für den Krieg werden im Frieden geschaffen. Von Staaten, die es in ihrem Verkehr untereinander wieder einmal so weit gebracht haben, dass sie meinen, sich wechselseitig eine vernichtende Niederlage beibringen zu müssen. Im vorliegenden Fall sind die Gründe lange herangereift. Und dass es nun in der Ukraine losgeht, ist auch kein Zufall.

Russland vollzieht eine Wende

 

1. Der Kreml zieht Bilanz

2. Russland zieht dem Westen eine rote Linie: Keine Aufnahme der Ukraine in die Nato

3. Russland stellt dem Westen ein Ultimatum

4. Das diplomatische Ultimatum wird mit einer Kriegsdrohung unterstrichen

 

In dem den USA vorgelegten Vertrag erinnert die russische Seite ihren Feind auch gleich eingangs daran, mit wem er es zu tun hat – „in Bekräftigung der Tatsache, dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf, und in der Erkenntnis, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Gefahr des Ausbruchs eines solchen Krieges zwischen Staaten, die über Atomwaffen verfügen, zu verhindern“.

Damit sich in Washington keiner über den Ernst der Lage täuscht, d.h. über die Entschlossenheit des Kreml, sich ihr militärisch zu stellen, wird die Erinnerung an die Kuba-Krise aufgewärmt. Einige militärische Gegenmittel werden demonstriert,23 der Einsatz anderer wird angedeutet, dann ordnet Putin schließlich auch noch eine Übung der strategischen Abschreckungskräfte an, die die Erprobung von ballistischen Raketen und Marschflugkörpern umfasst – zur Klarstellung, was Russland alles im Zweifelsfall zur Verfügung steht.

Russland droht seinerseits damit, sich unberechenbar zu machen, um den Gegner zu beeindrucken und abzuschrecken. Parallel zu der diplomatischen Offensive, die die USA und die Nato auf die Entscheidung zwischen Respektierung oder Missachtung des russischen Sicherheitsbedarfs festlegen soll, verstärkt die russische Führung ihre an den Grenzen der Ukraine aufgestellten Militärkontingente, bis hin zu einem jederzeit aus dem Stand an diversen Fronten mobilisierbaren invasionstauglichen Ausmaß, immer noch versehen mit der Erklärung, dass an eine Invasion nicht gedacht wird – sofern sich USA und Nato dazu herbeilassen, über die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien zu verhandeln.

USA und Nato sollen begreifen: Wenn sie sich dem Antrag verweigern, die russischen Sicherheitsinteressen förmlich anzuerkennen, dann bekommen sie es mit einem Russland zu tun, das in der Verfolgung seiner Sicherheitsinteressen für die amerikanische Weltmacht und ihr Kriegsbündnis auch nicht mehr berechenbar ist.

 

Teil 2: Die Antwort der USA

 

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.

 

https://www.heise.de/tp/features/Russland-ringt-um-seine-Machtrolle-6631331.html?seite=all

One Response »

  1. Peter Decker: Die Antwort der USA

    (Teil 2 und Schluss)

    1. Der Antrag auf Anerkennung russischer Sicherheitsinteressen: abgelehnt!

    2. Amerika übernimmt die Definitionshoheit über die Lage

    3. Die Wiederbelebung der Nato als verlängerter Arm der amerikanischen Weltmacht

    a) Die militärischen Beiträge, die verlangt und von Europa geliefert werden, baut Amerika in eine dreistufige Abschreckung ein

    – Mit noch viel mehr Geld und Rüstung die Ukraine für Russland „unverdaulich“ machen
    – Nato-Verbündete sowie neutrale Staaten rund um Russland verstärken die Bedrohungskulisse
    – Aufmarsch des US-Militärs selbst

    b) Die Sanktionen

    4. Mit Russland „im Gespräch bleiben“: aber immer!

    Der Machtkampf eskaliert

    Für beide Seiten steht hier die Substanz dessen auf dem Spiel, was sie als Nation jeweils sind und zu sein beanspruchen: für die eine ihr Status als Großmacht und maßgebliches Subjekt in der Staatenwelt, für die andere ihre uneingeschränkte Weltherrschaft. Die Standpunkte, die da aufeinanderprallen, sind unvereinbar. Sie dulden keine Relativierung, weil jede Relativierung einer Aufgabe des Standpunkts gleichkommen würde. Für beide Seiten hat die Behauptung des eigenen Standpunkts daher die Qualität einer Existenzfrage, die zur Entscheidung gebracht werden muss.

    Und so gehen sie aufeinander los. Beide Seiten machen den Übergang von der Abschreckung hinein in eine Auseinandersetzung, in der beide Seiten in der Anwendung ihrer Gewaltmittel eskalieren, um die jeweils andere zum Einlenken zu zwingen. Sie tun dies im Wissen um die Machtmittel, über die die Gegenseite verfügt, und in dem festen Willen, in dieser Auseinandersetzung die Eskalationsdominanz zu behalten und auszuüben, also jede Eskalation der Gegenseite mit einer weiteren Eskalation zu beantworten.

    Mit dem Unterschied, dass es die in diesem Ringen in die strategische Defensive gebrachte russische Staatsgewalt ist, die den Übergang in die militärische Offensive gemacht hat und vor der schlechten Alternative Rückzug oder weitere Eskalation steht; während die überlegene amerikanische Seite sich bei ihrer Eskalation – immer noch – die Freiheit wahrt, über den Übergang zur direkten militärischen Konfrontation nach eigenem Kalkül zu entscheiden; also auch: ohne jeden Machtverlust eigene Eskalationsschritte zu unterlassen, was allemal nur heißt: sie zu vertagen. Oder eben doch strategisch in Vorleistung zu gehen…

    Die Ukraine ist dafür das erste Schlachtfeld.

    Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist:
    https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/ukraine-russland-nato

    https://www.heise.de/tp/features/Die-Antwort-der-USA-6631915.html?seite=all