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Theo Wentzke: Geglaubte Lebenslüge

Von • Apr 9th, 2021 • Kategorie: Allgemein

Geglaubte Lebenslüge

Antirassisten gegen Rassisten: Der Klassenstaat und seine verfeindeten Moralisten

Von Theo Wentzke

 

Rassismus im Sinne einer Rechtslage, mit der die Staatsgewalt die Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung bis hin zu ihrer Eliminierung verordnet oder erlaubt, gibt es im modernen bürgerlichen Gemeinwesen nicht mehr. Weder im Sinn eines kolonialen Vorrechts, das die Herrschaft über unmündige Völker legitimiert, noch im Sinn der Nürnberger Gesetze, die von der Zugehörigkeit zu einer arischen Herrenrasse, die ein Recht auf Weltherrschaft hat, die Staatsbürgerschaft abhängig machen, noch im Sinn eines Rechts auf Eigentum an Menschen, das Sklaverei als Bestandteil der politischen Ökonomie festschreibt. Im Gegenteil: Der heutige Rechtsstaat verbietet sich und überhaupt rassistische Diskriminierung, weil sie zu seiner Räson nicht passt.

Seine politische Ökonomie, die aus fremder Arbeit immer mehr Reichtum in Form produktiv angewandten Privateigentums herausholt, organisiert er mit seinem bürgerlichen Gesetzbuch unter der Prämisse der rechtlichen Gleichheit seiner Bürger als sozialfriedliches Tauschverhältnis zwischen »Arbeitgebern« und für ihre Dienste bezahlter Belegschaft.

Seinen Zugriff respektive den seiner Konzerne auf die Ressourcen der Außenwelt, die Ausnutzung fremder Länder mit ihrem lebenden und toten Inventar, regelt er als Handelsverkehr im Rahmen einer multilateralen, quasi suprastaatlichen Geschäftsordnung, die Gleichberechtigung und Fairness verspricht; als Welthandel, der wie von selbst den »Exportweltmeister« BRD und andere kapitalistische Großmächte bereichert.

Sein Volk definiert dieser Staat als seinen exklusiven Besitzstand durch die Lizenz – die praktisch niemand ablehnen kann –, sich frei als Aktivist der Konkurrenz um Geld und Lebenschancen nützlich zu machen – im Fall der BRD: nützlich für den Reichtum und die darauf gegründete Macht des Staates, als Führungsnation der EU den »Rivalen« USA, VR China und Russland mindestens »auf Augenhöhe« zu begegnen, gleichrangig im Kampf um Vorrang voreinander und um Bevormundung der restlichen Staatenwelt.

Sein Staatsvolk sind die Bürger in erster Linie in ihrer Funktion als Akteure in den Konjunkturen des nationalen Kapitalstandorts, zu der nur Eingeborene von Haus aus – brauchbare Migranten und Ausländer unter restriktiven rechtlichen Sonderbedingungen – zugelassen sind: ein echtes Privileg, das die Seinen vor allen Fremden auszeichnet. Der Kampf gegen unerwünschten Zuzug aus den Elends- und Kriegsregionen der Welt erfüllt objektiv den Tatbestand massenhafter Tötung durch Unterlassung bzw. durch ein aktives Grenzregime; auch der kommt aber ganz ohne rassistische Rechtfertigungen aus.

 

Kein Rassismus von Staats wegen

Widerspruch des Staatsbürgers

Antirassisten

Rassisten

 

Von Versuchen der Vertreter entgegengesetzter Lesarten des gewöhnlichen Staats- und Staatsbürgeridealismus, die jeweils andere Seite zu überzeugen, ist nichts bekannt. Das halten beide Fraktionen von vornherein für aussichtslos; wohl zu Recht. Umso mehr kommt es ihnen darauf an, der Gegenseite das Wasser abzugraben, indem sie im Sinne ihrer patriotischen Moral aufs Volk einwirken; direkt agitatorisch und über die organisierte Öffentlichkeit.

Mehr zum Thema im Heft 1/2021 der Zeitschrift Gegenstandpunkt. Im Buchhandel und beim Verlag unter https://de.gegenstandpunkt.com zu beziehen.

 

Aus: junge Welt – Ausgabe vom 07.04.2021 / Seite 12 / Thema: Aus der bürgerlichen Gesellschaft

 

https://www.jungewelt.de/artikel/399999.aus-der-b%C3%BCrgerlichen-gesellschaft-geglaubte-lebensl%C3%BCge.html

3 Responses »

  1. Der Staat stelle die kapitalistischen Verhältnisse unter die Vorzeichen von Harmonie und Eierkuchen, solch flapsige Formulierungen taugen anscheinend leider nur dazu, dass der sonstige Artikel-Rest von einem Leserbriefschreiber als ‚iss mir wurscht‘ einsortiert worden ist ….

    https://www.jungewelt.de/aktuell/rubrik/leserbriefe.php?letterId=49886

  2. @Leserbrief
    Das ist wieder so eine Arroganz-Haltung: Da pickt man sich eine Formulierung heraus um den Inhalt des ganzen Textes gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen zu wollen. Ein negatives Voreingenommensein, das man sich schon sehr gezielt zugesteht und dann praktiziert, wenn es einem gerade passt.
    Im Übrigen fasst dieser Artikel, man lese ihn unbedingt komplett, sich sehr umfassend mit der Haltung genau solcher Zeitgenossen, die allgemein heute sicher mit „links“ bezeichnen werden und die auch wohl in der Redaktion der publizierten Tageszeitung zu Hause sind bzw deren Leserschaft zum Großteil ausmachen.
    Ein Grundlagenartikel dazu, wie ganz normaler (Anti)rassismus im modernen Staat vereinbar ist mit den
    größten Opfern, die der von seinem Volk verlangt.

  3. Imperialismus klimaneutral
    Das Streben nach Energieautonomie. Zu »Klimaschutzprogramm 2030«, Klimaschutzgesetz und nationaler Wasserstoffstrategie der Bundesrepublik
    Von Theo Wentzke

    Die deutsche Klimaschutzpolitik, die die Minderung der klimaschädlichen CO2-Emissionen, des Verbrennungsgases fossiler Energiebewirtschaftung am Standort Deutschland zum Ziel hat, ist deckungsgleich mit dem Programm einer neuen nationalen Energie- und Rohstoffversorgung, das Deutschland unabhängiger machen soll von der Nutzung überwiegend auswärtiger fossiler Rohstoffe.

    Mit seinem »Klimaschutzprogramm 2030« setzt Deutschland die bisherige »Energiewende« mit ihren beiden Säulen »Steigerung der Energieeffizienz« und »Ausbau der erneuerbaren Energien« aber nicht einfach nur fort, sondern verfolgt eine radikale »Energiesystemwende«, die laut Auskunft des Klimakabinetts endlich mit der »Mobilitäts-«, »Wärme-«, und vor allem mit einer »wirklichen« »Industriewende« Ernst machen soll. Gemessen daran nimmt sich der bisherige Fortschritt – die Deckung von 46 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen 2019 – als ungenügend, als bloße »Stromwende« aus: Die neue Energiebewirtschaftung soll zur umfassenden »Dekarbonisierung«, einer weitestgehenden Loslösung des Standorts von fossilen Energieträgern wie Öl, Gas und Kohle führen. Das Ziel lautet: CO2-neutrales Wachstum bis 2050.

    Dafür werden weiterhin und verstärkt das Programm der Energieeffizienzsteigerung (z. B. durch die Isolierung von Gebäuden oder die Verbesserung von Betriebsabläufen) und der Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energieträgern in der Stromproduktion vorangetrieben. Darüber hinaus sollen nun auch andere Sektoren durch neue Technologien und Kopplung mit der Stromwirtschaft auf erneuerbare Brenn-, Kraft- und Grundstoffe umstellen bzw. dies schneller tun als bisher: der Verkehr zu Land, perspektivisch auch zu Wasser und in der Luft, die Bauwirtschaft, die Wärmeerzeugung und insbesondere die gesamte industrielle Produktion.

    Diesem Ziel dienen die direkte Elektrifizierung von Prozessen und Produkten (z. B. Elektroautos und elektrisch betriebene Wärmepumpen, die Erd- oder andere Umgebungswärme verfügbar machen) ebenso wie deren indirekte Elektrifizierung (z. B. durch Brennstoffzellen in Lkw, die mit »grünem« Wasserstoff angetrieben werden, welcher mittels Elektrolyse von Wasser unter Verwendung von Strom aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird; oder durch die Umstellung der Stahlindustrie auf »grünen« Wasserstoff u. a. m.).
    Wasserstoff nimmt die zentrale Rolle einer dritten Säule in der Wende ein, der eine eigene Strategie der Bundesregierung gewidmet ist: Er soll, wo eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist, perspektivisch Erdgas ersetzen, als Schlüsselrohstoff für eine Weiterveredelung zu CO2-neutralen, strombasierten Brenn- und Kraftstoffen und als Speicher für überschüssige elektrische Energie aus Wind und Sonne genutzt werden; außerdem soll durch neue Produktionsverfahren seine Bedeutung als chemischer Grundstoff in verschiedenen Industrien ausgebaut werden.

    Bedingte Kapitalentwertung

    Fördern bis zur Rentabilität

    Verfügung über billige Energie

    Emanzipationsbedarf

    Handlungsfreiheit schaffen

    Welche imperialistischen Perspektiven die deutsche Politik dabei im Sinn hat, darüber gibt der deutsche Außenminister unmissverständlich Auskunft: »Die Energiewende ist nicht nur der Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie – sie verschiebt auch politische Grundkonstanten. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien können sich Staaten in die Lage versetzen, ihre eigene Energiesicherheit zu erhöhen. Damit verliert das geopolitische Instrument Energie, wie wir es über Jahrzehnte kennengelernt haben, seine Macht. Energiewendeländer können ihre strategischen und außenpolitischen Interessen unabhängiger verfolgen« (Heiko Maas, SPD, zum »Berlin Energy Transition Dialogue« 2019).

    »Nicht nur« ist gut: Fossile Brennstoffe enthalten offenbar »politische Grundkonstanten«, deren Verschiebung der Außenminister Deutschlands für nötig und geboten hält. Den deutschen Angriff auf diese Konstanten deutet er um in einen Dienst, der den Souveränen der Welt in ihrem zwischenstaatlichen Verkehr Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit zurückgibt, weil er Energieversorgung und Machtgegensätze der Staaten voneinander trennt. Dafür bietet sich Deutschland mit seiner Energiewende anderen Staaten als Vorbild und Helfer an und wirbt so um deren Kooperationsbereitschaft für ein deutsches Emanzipationsprogramm, das sich ja keineswegs mit deren Souveränitätsbedürfnissen deckt.

    Deutschland – so das Projekt – verschafft sich Energieautonomie und damit der deutschen Macht Handlungsfreiheit für ihr weltpolitisches Agieren, weil sie in ihrer global übergriffigen ökonomischen und politischen Interessenverfolgung auf keine Rohstoffabhängigkeiten von anderen Nationen Rücksicht nehmen muss. Statt dessen erobert es sich mit diesem Fortschritt die Rolle eines kapitalistischen Großproduzenten und einer souveränen Macht in Sachen Energieversorgung. Mit diesem Umsturz in den Mitteln und Methoden der globalen Energieversorgung greift es die Geschäfts- und Machtverhältnisse auf dem Weltenergiemarkt an – und insbesondere die Rolle der USA, die für die immer noch gültigen »Grundkonstanten« dieses Marktes gesorgt haben.

    Mehr zum Thema im Heft 1/2021 der Zeitschrift Gegenstandpunkt. Im Buchhandel und beim Verlag unter gegenstandpunkt.com zu beziehen.

    Theo Wentzke schrieb an dieser Stelle zuletzt in der Ausgabe vom 7. April 2021 über moralistische Auffassungen bezüglich Rassismus und ­Antirassismus

    Aus: junge Welt – Ausgabe vom 10.05.2021 / Seite 12 / Thema: Grüne Marktwirtschaft

    https://www.jungewelt.de/artikel/402135.gr%C3%BCne-marktwirtschaft-imperialismus-klimaneutral.html