München | 14.11.2019 | Von Trump über Erdogan bis nach Berlin: Der Syrien-Krieg und die „Kurdenfrage“– eine imperialistische Konkurrenzaffäre
Von webmaster • Nov 6th, 2019 • Kategorie: VeranstaltungenZeit: Donnerstag | 14.11.2019 | 19:30 Uhr
Ort: EineWeltHaus München | Raum: Werkstatt (rechts neben Weltladen) | Schwanthalerstr. 80 RGB (U-Bahn Haltestelle Theresienwiese(U4/U5)
Veranstalter: AK Gegenargumente
Von Trump über Erdogan bis nach Berlin: Der Syrien-Krieg und die „Kurdenfrage“– eine imperialistische Konkurrenzaffäre
Trump lässt die Kurden fallen, die für die Erledigung des IS gut waren. Erdogan befiehlt eine Militäraktion auf syrischem Boden gegen die „Terroristen“der Kurdenmiliz YPG.
Die deutsche Politik ist hellauf entsetzt, und alle, die es wollen, entdecken an dieser Aufregung des offiziellen Berlin die abgrundtiefe Heuchelei:
– die Parteinahme für eine plötzlich als emanzipatorisch und basisdemokratisch gefeierte Kurdenmiliz, deren Verbündeten PKK Deutschland seit Jahr und Tag als Terrorverein verfolgt;
– die berechnende Anerkennung der Kurden als unsere Speerspitze und unser Kanonenfutter im Kampf gegen den IS…
– das demonstrative Entsetzen angesichts zu befürchtender ziviler Opfer seitens derer, die nichts schlimmer finden als die Aussicht, die Metzelei in Syrien könnte vorzeitig ein Ende haben und unser Feind Assad – und womöglich die Russen! – den Sieg davontragen.
Grund genug, sich Klarheit darüber zu verschaffen,
– welche Rolle die „Kurdenfrage“ in Erdogans innerem und äußerem Staatsprogramm spielt;
– was seine „Drohung“ mit den Flüchtlingsströmen aus der Türkei über den humanitären deutschen Imperialismus verrät;
– inwiefern Trumps Rückzugsbeschluss nicht chaotisch, sondern eine konsequente Fortsetzung seines Programms ist;
– und warum Deutschland bei der gewaltsamen „Lösung der Kurdenfrage“dabei sein will – natürlich wieder mal als „Friedensstifter“.
http://www.gegenargumente.de/contents/flyer/2019_11_kurdenfrage_flyer.pdf
Es wirft zunnächst ein bezeichnendes Licht auf die Konsequenzen der neuen
Ami-Politik, keine weltordnerisches Programm mehr zu verfolgen.
Hat der Yankee auch schon seit längerem sich daran gestört, wie
einige Nationen quer zu den US-Interessen eigensüchtige Belange
verfolgen, ist der Fall Syrien Anschauungsmaterial dafür, wie das
Betreiben von Weltpolitik als Subsumtion derselben unter die unmittelbare
Dienstbarkeit für Amerika erst recht dem Emanzipationsdrang anderer
Staaten, Wahrung der Eigeninteressen gegen irgendwelche
Unterordnungsverhältnisse Auftrieb gibt – wo dann die Weltmacht
von Fall zu Fall, entlang engen nationalen Nutzenkalküls, entscheiden will,
ob und inwieweit sie dem Grenzen setzen will.
Der Einmarsch der Türkei ist auch weiteres Zeugnis vom Zu-
stand der „westlichen Wertegemeinschaft“ unter dem Dach der NATO :
die Türkei weist offen die Forderung der maß-
geblichen europ. Staaten zurück, von ihren Interessen als Kontrollmacht,
ausgehend von der faktischen Besetzung eines Teils fremden Territoriums,
in Nahost abzulassen und den Rückzug anzutreten und versucht die
Erpressung, die Schleusen für Flüchtlinge nach Europa zu öffnen, also
den EU-Türkei Flüchtlingspakt gegenstandslos zu machen.
Die EU macht allenfalls diplomatische Zurechtweisung der Türkei,
dass man die Invasion nicht dulde, mit der aufschlussreichen Begrün-
dung, wie gehabt nicht wegen der Massen der darbenden Leute dort
unten sich gesorgt wird: es reiße in Nahost neue „Destabilität“ ein. Der EU
passt also absolut nicht, wie die Türkei als NATO-Partner zu ihr gegenläufige
imperialistische Interessen verficht mit dazu nicht bestellten Konse-
quenzen der türkischen militärischen Aufmischung in Syrien– ohne per macht-
vollem Einschreiten der Türkei einen Strich durch deren Rechnung zu machen.
Allenfalls zu Stopp von (neuen!) Rüstungsexporten kann man sich durchringen-
und das noch nicht einmal als einheitliche Linie aller EU-Mitglieder, die lt. ARD-
Monitor-Sendung v. 17.10.19 ausdrücklich die BRD hintertrieben haben
soll. Das weiche Gegenhalten mag damit zu tun haben, dass die EU die Türkei
eigentlich braucht als Stabilitätsanker nicht nur gen Nahost.
Wieweit der Herrscher vom Bosporus mit der Konfrontation selbst gegen
Bündnispartner zu gehen bereit ist, bis zur Zerrüttung der politischen
Beziehungen, geht aus der Beschimpfung des dt. Außenministers Maas
hervor, dieser sei ein Dilettant und habe „keine Ahnung“ von Außen-
politik.
Nach Meldungen von 15./16.10.19 verwahre sich Ankara gegen die Auf-
forderung der USA, die Invasion aufzugeben bzw. „Waffenstillstand“ mit
den Kurden auszuhandeln. Die angedrohten Sanktionen durch USA
könne man verkraften. – US-Vizepräsident und –Sicherheitsberater wollten
nach Nordsyrien aufbrechen, um Waffenstillstand zu „vermitteln“.
Nach unbedingtem Machtwort gegen die Türken sieht das Vorhaben der
Amis nicht aus: der türkische Machthaber Erdogan nutzt dies erst recht
aus, sein Programm der „Säuberung“ Nordsyriens von „Terroristen“
durchzuziehen – offenbar lernend vom Standpunkt der USA ‚unsere
Nation zuerst‘.
Dann dies: am 17.19.20 verkünden USA und Türkei einen Deal, wonach
eine Feuerpause eintreten soll und währenddessen die Kurdenverbände
und –bewohner in Nordsyrien von dort verschwinden, den Rückzug aus
diesem Gebiet antreten sollen.
Dies ist für die Kurden eine tolle Alternative: entweder per militärisches
Massakrieren durch die türkische Armee ihr Existenzrecht vernichtet zu
kriegen oder nach dem Verspüren der Übermacht der Türken freiwillig
zu kapitulieren und das Gebiet zu räumen.
Die Amis haben damit also voll dem Aufsichtsstandpunkt von Ankara
in Bezug auf ein Teilgebiet einer fremden Hoheit und darüber hinaus-
gehend recht gegeben. – Die Nachreichung der Betonung der freund-
schaftlichen Verbundenheit von Amerika und Türkei zeigt, dass ersteren
das Schicksal der Kurden sowas von egal ist, es vielmehr geopfert wird
zugunsten dessen, dass die Amis nicht im Entferntesten den Bruch
mit den Türken wollen – dies aber wohl aus Berechnungen
heraus, dass sie keinen politischen Nutzen der Involvierung im „Krisen-
herd“ Syrien sehen.
Nachtrag:
Dt. Verteidigungsministerin und Merkel statt für türkisch
dominierte „Sicherheitszone“ für „internationale Sicherheitszone“
– lt. Meldungen v. 21.10.19
ARD-/ZDF-Text v. 21.10.19:
Eine „international kontrollierte Sicherheitszone im syrischen Grenzgebiet zur
Türkei“ solle in Abstimmung mit den NATO-Mitgliedern erwogen werden. Die
Situation in Syrien beeinträchtige die Sicherheitsinteressen(!) Europas und
Deutschlands massiv(CDU-Chefin und Verteidigungsministerin K.-K.).
Es ist einigermaßen unverfroren: die türkische Invasion als durch das Völker-
recht „nicht legitimiert“ dem Erdogan um die Ohren hauen, wo die EU-Imperia-
listen den Anspruch gegen den starken Mann vom Bosporus geltend machen,
dass der ihren Rechnungen unter dem Titel „Destabilisierung“ nicht in die Quere
zu kommen hat: Auslösung neuer Fluchtbewegungen, Wiederaufleben weit-
gehend erledigten islamistischen „Terrors“, überhaupt nicht bestellte Aufmischungen
in Nahost und dann die Idee zu lancieren, sich an den türkischen Feldzug so dranzu-
hängen, ihre eigene Sicherheitszone zu ihrem imperialistischen Nutzen aufzuziehen,
also den türkischen Militärstiefel nutzen, um selber den Fuß dort unten reinzukriegen,
einschließlich u.U. unter Beteiligung der Bundeswehr
– natürlich scheinbar uneigennützig ausgestaltet in internationalem Rahmen, sogar
unter Einbeziehung der Russen.
Nachtrag:
Von der Verlogenheit bisheriger imperialistischer Zurückhaltung D./Europas zur
Geltendmachung von mehr machtpolitischen Ansprüchen am Beispiel Syriens
Egal, wie es um die praktischen Perspektiven und erst recht um die politisch-militärischen
Potenzen von D. und EU steht, sich u.a. in Nahost mehr Geltung zu verschaffen. Ge-
wiefte und vorausschauende Mitmacher in dt. Regierungsmannschaft raten zu einem
entschiedenerem imperialistischen Vorwärts – statt angeblich bisheriger defensiver Zu-
schauerrolle oder bloß konsequenzloser Einforderung von mehr weltpolitischem Mitmachertum
(so oder ähnlich ein CSU-Vertreter Schmidt in Deutschlandfunk-Politsendung v. 22.10.19/
12-14 Uhr). Und darin besteht das Lügenhafte: dt. Weltpolitik sei geradezu geprägt vom
regelrechten Heraushalten aus den internationalen Affären.
Ob in Mali, Afghanistan oder anderswo: mit Soldaten und Tornados wird schon längst
die Freiheit vorwärtsverteidigt. An den Stellen, wo sich D./EU zieren würden, haben
sie handfeste Gründe, nämlich, dass ihr (Mit-)Engagement nicht mir ihren politischen
Nutzenerwägungen in Deckung zu bringen ist oder aber eigenständiges Agieren in
Absetzung oder sogar in Gegensatz zu anderen, mächtigeren Nationen es an den
Mitteln gebricht, die dafür unabdingbar wären – Aber die Behauptung, aus ideologischer
Verblendung prinzipiell auszuschließen, mehr imperialistisch aufzutrumpfen, ist un-
verkennbar offensichtliche Unwahrheit.
Nachtrag:
Die öffentliche Debatte um den Vorstoß von A.K.K. zu Syrien
Es wetterte Kritik Richtung A.K.K. von ‚unausgegoren‘, ‚unabgesprochen‘ bis ‚unrealistisch‘
und ‚dilettantisch‘, die im Grunde genommen den imperialistischen Gehalt der Sache mit der
„internationalen Schutzzone“ in Nordsyrien bestätigt. Der Haupteinwand bezieht sich auf die
Durchsetzungsfähigkeit erstens in Bezug auf die Einbeziehung anderer gewichtiger NATO-
Mächte, die D. nicht folgen wollen, aus welchen Berechnungen heraus auch immer, zweitens
nicht nur deswegen hinsichtlich des Vermögens, entsprechende Machtmittel in Anschlag bringen
zu können und drittens wegen des Aufmachens direkter Konfrontation mit dem NATO-Mitglied
Türkei, sondern auch noch mit den Russen, die in Nordsyrien inzwischen kollaborieren.
N a c h t r a g : Zu den Absurditäten des Islam-Expertums
Hier ein Beispiel, wie man sich besser nicht den imperialistischen Realitäten am Beispiel
Türkeit-Syrien annähert:
Weltbeobachtung auf Grundlage unabweisbar haltender weltpolitischer Realitaeten
– Islamexperte M. Lueders im Interview auf NDR Info am 14.10.19/16-17 Uhr
Die Rolle des weltpolitischen Beobachters einnehmen, die Weltlage vom Standpunkt möglicher,
fiktiver, realitätsnäherer Kalkulationen involvierter Staaten beurteilen, ist das Gegenteil von
Kritik derselben.
Lüders liegt daneben, wenn es heißt, dass das, was die Türken als Gelegenheit tatkräftiger,
militärischer Einmischung in Syrien ergriffen haben, den Rückzug der Amis von dort, habe
zu tun mit einer „Fehleinschätzung“ der letzteren, Assad nicht ein für allemal weghauen zu
können: als ob es einer hochgerüsteten Supermacht abginge, den Syrien-Führer endgültig
fertig zumachen, wenn sie gewollt hätten, was eben nicht der Fall war. Lüders vermeidet zwar
die Bekennung dazu, ob die von den Großmächten erwogene Beseitigung des syrischen
Regimes in Ordnung ginge. Einen argumentativen Einwand vermisst man aller-
dings. Auch für solche Experten sind die imperialistischen Affären offenbar unhintergehbare
Tatbestände, entlang derer man, eben in der weltpolitischen oder gar imperialistischen Logik
verbleibend, unterschiedliche, mehr oder weniger ‚wirkmächtige‘ Berechnungen dranheften
kann – statt eines Einspruchs dagegen.
Lüders zu den Türken: die marschieren nicht ein, um hinterher mit den Russen in Nordsyrien
eine Vereinbarung über „entmilitarisierte Zone“ zu machen, also sich den Trumpf aus der Hand
nehmen zu lassen, ihre einsinnigen Kalkulationen anzustellen und durchzusetzen wie die
Vernichtung und nicht bloß die „Entwaffnung“ eines kurdischen Feindes, überhaupt die
Einflusspotenzen in Nahost auszubauen und nicht zuletzt die Last mit den Flüchtlingsmassen
loszuwerden durch Verfrachtung derselben in ihre „Sicherheitszone“, deren Vermehrung der
Obertürke mit seinem Feldzug gerade zuarbeitet. Bzw., was da als russisch-türkischer Deal
ablief, handelt es sich um ein arbeitsteiliges Aufsichtsregime über Nordsyrien, wo sich der Russe
eingelassen hat auf die strategischen Säuberungsziele der Türkei gegen die Kurden.
Andererseits: Das Durchspielen strategischer Optionen nimmt zu den „Konfliktherden“ den
Gestus einer Sorte passiven Imperialismus ein:wie hier Machtansprüche beteiligter Nationen gegeneinanderstehen,inwieweit es die Russen zu einem Deal mit den Türken bringen, sofern
denen das Durchsetzungspotential von Putin einleuchtet oder es mit ihm nicht ‚verscherzen‘
wollen, wo die Beziehungen Russland-Türkei auf gutem Weg waren/sind wegen rüstungspolitischer
Querelen mit den Amis, der Polit-Experte bespricht imperialistische Angelegenheiten wie
natürlichen Weltenlauf-wo dann mit der Ausmalung politischer Händel die imperialistischen
Zynismen in Ordnung gehen: z.B. wie die russischen Schützlinge von Syrien nicht erst
mit dem Türkeneinmarsch das kriegsbedingt dezimierte Land durch das ami-unterstützte
Rebellentum gegen Assad ähnlich, wenn auch mit andersgelagerter Stoßrichtung, dem
Oberimperialisten aus dem Weißen Haus zum Material ihrer Interesses machen, nämlich den
USA zu demonstrieren, dass sie als weltpolitischer Mitspieler nicht zu übergehen seien – welches
Ansinnen sich inzwischen darüber relativiert, dass der Gegenspieler die weltpolitische Relevanz
der Gegend da unter für sich heruntergestuft hat und für die Russen die Kosten einiges hochge-
trieben hat, sich da unten Geltung zu verschaffen.
Um in den strategischen Spielereien des Lüders zu verbleiben: Aufteilung von Zuständigkeiten in
Nordsyrien in Form von irgendwelchen Einflusszonen stellt die ohnehin praktisch relativierte
Souveränität Assads im Interesse eines Abgleichs machtpolitischer Erwägungen von Türken
und Russen in Bezug auf diesen Landstrich und darüber hinaus weiter zur Disposition.
Mit derartigen Planspielen hält man der Türkei gegenüber betreffend die Einräumung eines
Einflussbereichs den Herrschafts-/Vorherrschaftsanspruchs in Bezug auf den Nahen Osten
jedenfalls ein Stück für konzedierungsfähig und damit die Sanktionierung der Abspenstig-
machung syrischer Hoheit für in Ordnung.
Also von gescheiter Kritik an den imperialistischen Machenschaften kleinerer und größerer Mächte keine Spur.
Zusatz: Lüders im Interview beim Deutschlandfunk, Polit-Mittagssendung v. 16.1019/12-14 Uhr
Die Stellung aus der Sicht des teilnehmenden Beobachters bis hin zur offenen Parteinahme für das
imperialistische Geschäft bestätigt sich hier:
* Europäer sollten nicht länger auf „Juniorpartner“ machen, sondern sich selbständiger machen
gegen die USA, um eine machtvollere(!) Rolle in Nahost zu spielen statt bloßer „Rhetorik“ gegen
Ankara.
* L. bezeichnet die amerikanische Benutzung der Kurden gegen IS als „rational“.
* Das Fallenlassen derselben nach ihrem Dienst für die Amis, und das angeblich schon öfters
in der jüngeren Weltgeschichte, wäre danach wohl „irrational“ oder gar „verräterisch“ zu nennen.
– Statt dies mal als dem Imperialismus immanenten Zynismus ernst zu nehmen, wird ein
‚Widerspruch‘ konstruiert, der nur in der Vorstellung des Experten existiert. Denn: Für die Amis
ist es eben damit erledigt gewesen, dass die Kurden für sie den Dienst der weitgehenden
Ausmerzung des IS geleistet haben. Es ist weltfremd, dem Weltgeschehen eine Art Tausch-
geschäft abzulauschen nach dem Motto: ihr Kurden habt bei der Ausrottung des IS geholfen;
jetzt stünde im Gegenzug die Ami-Hilfe gegen die Türken an.