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[11/2011] »Wir tun es für uns«

Von • Nov 26th, 2011 • Kategorie: Artikel

»Wir tun es für uns«

Hintergrund. Die Berliner Regierung unternimmt den abenteuerlichen Versuch, die Systemkrise ihrer Währung als Chance für ein deutscheres Europa zu nutzen.

Von Peter Decker

In Deutschland sind sich Regierende und Regierte samt Gewerkschaften einig: »Wir« haben solide gewirtschaftet, die Löhne über ein Jahrzehnt vorbildlich gesenkt und die Konkurrenzfähigkeit »unserer« Wirtschaft gestärkt. Wir haben ein solides Wachstum und unsere Schulden im Griff. Jetzt müssen »wir« die faulen Griechen, Portugiesen, Iren und, wer weiß, wen noch alles mit neuen Krediten retten, weil die »über ihre Verhältnisse gelebt« haben. Wenn »wir« aber schon helfen, haben wir auch das Recht, in Europa neue Spielregeln durchzusetzen, damit so etwas nie wieder passiert. Auch wenn die selbstgerechte deutsche Sicht kürzlich in Brüssel triumphiert hat und von ganze Europa recht bekommt – an ihr stimmt kein Wort.

Griechenland hat, wie andere Länder, Staatsschuldpapiere aufgelegt und auf Finanzmärkten verkauft, um im Haushalt über mehr Geld zu verfügen, als es einnimmt. Die politische Macht hält es da wie der private Kapitalist, für den Schulden der große Hebel seines Profits sind. Auch sie beschränkt sich bei der Verfolgung ihrer Ziele von der Wirtschaftsförderung bis zum Krieg nicht auf die Mittel, die ihr lokaler Kapitalismus hergibt und die sie der Gesellschaft in Form von Steuern wegnehmen kann oder will. Schulden befähigen sie, den Aufbau, das Wachstum und die Konkurrenzfähigkeit ihrer Nationalökonomie ohne die Schranke bisher erwirtschafteter Haushaltsmittel voranzutreiben.

Profitmaschinen

Zum Dank für diesen entscheidenden Dienst sind Staaten bereit, ihre Machtausübung den Maßstäben und Bedürfnissen des Finanzsektors unterzuordnen. Denn einen Preis hat diese Freiheit schon: Für die Verfügung über im Prinzip unbegrenzte Geldmittel verpfänden Regierungen die steuerlichen Früchte eines Kapitalwachstums, das sie durch wirtschaftspolitische Ausgaben anzustoßen hoffen, ohne es bewirken zu können; schließlich regieren sie eine Privat- und keine Planwirtschaft. Das angestrebte Wachstum muß ihnen schon das Gewinnstreben privater Kapitalisten einspielen; durch Staatsschulden wird es zum Sachzwang. Es muß erzielt und in Form wachsenden Steueraufkommens vereinnahmt werden, damit die Schuld sich dauerhaft das Vertrauen der Gläubiger sichert und die so finanzierte Wachstumsförderung immer weitergehen kann. Die Ausgaben, mit denen Lehrer, Autobahnen und Panzer bezahlt werden, sind keine Kapitalinvestitionen, sondern staatlicher Konsum, der Verbrauch von Geld. Gleichwohl müssen sie in ihrer Summe funktionieren, als ob sie Kapitalinvestitionen wären. Das ganze Land muß für den Staat als Profitmaschine funktionieren, die ihm Jahr für Jahr mehr Steuern abwirft.

Das bankrotte Griechenland hat es am Bemühen, sein Territorium zur einer solchen Maschine herzurichten, so wenig fehlen lassen wie das »vorbildliche« Deutschland. Wenn das Verhältnis der akkumulierten Staatsschuld zum Bruttoinlandsprodukt dort anders aussieht – hier etwas über 80 Prozent des BIP, in Griechenland 2009 116, heute 160 Prozent (die zusätzlichen 45 Prozent sind entstanden, weil das Land seinen Kredit an den Finanzmärkten verloren hat), dann zeigt das nur, daß die Ausgaben für die Verbesserung der Wirtschaftsbedingungen sich dort weniger in neues Kapitalwachstum verwandelt haben als hier.

Die griechische Wirtschaft ist im europäischen Binnenmarkt der deutschen, französischen etc. Konkurrenz unterlegen. Sie kann per Saldo weniger gewinnbringend in die Partnerstaaten verkaufen als umgekehrt. Die griechischen Staatsschulden erweisen sich daher als Wachstumsförderung weniger für das lokale als für das außergriechische EU-Kapital. Am griechischen Schuldenwachstum kann allen voran Deutschland ablesen, woher die Kaufkraft stammt, die seine Wirtschaft im Binnenmarkt so erfolgreich abschöpft: nicht aus allgemeinem Wachstum, sondern aus wachsenden Schulden der Partner.

Ob Ver- allerdings in Überschuldung umschlägt, ob Griechenland »über seine Verhältnisse gelebt« hat oder nicht, das ist keine objektive Größe, sondern die Entscheidung finanzkapitalistischer Investoren. Solange sie einem Staat seine Schulden abkaufen, ist der auch solvent und kann die geschuldeten Zinsen zahlen. Er verliert seinen Kredit an Kapitalmärkten nicht, weil er definitiv überschuldet wäre; er ist umgekehrt überschuldet und bankrott, sobald ihm die Finanzagenturen aus ihren Gründen keinen Kredit mehr geben. Zu diesen Gründen gehört nicht nur die spekulative Einschätzung der Wachstumschancen, mithin der »Schuldentragfähigkeit« des Landes, sondern nicht weniger die Einschätzung der eigenen Geschäftslage, der mehr oder weniger zweifelhafte Zustand ihrer sonstigen Assets und der daraus resultierende »Risikoappetit«. Schwindet der, entziehen Banken Nationen den Kredit, den sie ihnen vorher bei nicht viel anderem Schuldenstand ohne zu zögern gewährt haben. So ermächtigt und entmachtet das Finanzkapital Staaten nach seinem Geschäftskalkül. Diese Macht haben sie ihm über sich eingeräumt.Verteidigung der Kreditmacht

Warum den »Pleite-Griechen« helfen? – Bundeskanzlerin Angela Merkel: »Wir tun es nicht für die Griechen, sondern für uns, für den Euro!«

Man darf ihr abnehmen, daß die berühmte europäische Solidarität nichts mit Hilfe und schon gleich gar nichts mit deutscher Selbstlosigkeit zu tun hat. Die griechische Pleite macht der Kanzlerin und ihren Kollegen vielmehr klar, daß sich der Kredit der Nationen, die sich eine gemeinsame Währung gegeben haben, erstens gar nicht mehr richtig trennen läßt und daß es zweitens um den Kredit in der Euro-Zone generell nicht gut steht: Europäische Großbanken wären reihenweise ruiniert, wenn sie ihren Bestand an griechischen Staatsanleihen abschreiben müßten. Das verrät, daß diese, wie andere Staatsschulden des Euro-Raums, keine bloß nationale Angelegenheit mehr, sondern »Basis-Investment« und Geschäftsmittel aller Euro-Banken geworden sind. Es verrät ebenso, daß auch die übrigen Geschäfte dieser Geldhäuser weder so zuverlässig noch so rentierlich sind, daß sie griechische Verluste wegstecken könnten.

Daß nicht bloß der griechische, sondern ihr eigener Kredit auf dem Spiel steht, registrieren die Euro-Staaten außerdem in Form ihrer Furcht vor einer – inzwischen eingetretenen – »Ansteckung« von Portugal, Irland, Spanien, Italien etc. Das Bild von der Infektion gesunder Staaten durch einen griechischen Keim beschönigt freilich die Lage: Wenn diese Staaten ihren Kredit an den Finanzmärkten zu verlieren drohen, sofern die Währungsunion auch nur eines ihrer Mitglieder fallen läßt, dann können offenbar auch sie ihre Schulden nicht mehr durch die kapitalistische Leistungsfähigkeit ihrer Ökonomie rechtfertigen, sondern – bisher jedenfalls – nur durch die Zugehörigkeit zum Euro-Verbund, in dem viele ziemlich verschuldete Mächte füreinander bürgen.

Das gilt auf seine Weise auch für Deutschland, das als wichtigster Bürge gefordert ist: Es vor allem hat den Euro geschaffen; es hat seinem in der harten D-Mark verkörperten Nationalkredit ein viel größeres Anwendungsgebiet eröffnet und ihm dadurch neben dem US-Dollar den Rang der zweiten Weltwährung erobert, in der heute fast 30 Prozent der Währungsreserven der Welt gehalten werden. Die tendenziell unbegrenzte, der amerikanischen ähnliche Kreditmacht, die aus solcher Weltgeltung entspringt, ist es, die der deutsche Staat zu verlieren und also zu verteidigen hat. Deshalb gibt es für die Kanzlerin kein Zurück zur D-Mark, sondern nur ein Vorwärts zu mehr Europa.

Zweifel an Bonität

Zweifel setzt das Finanzkapital in den Kredit der europäischen Staaten – und nicht nur in den – nicht wegen einer isolierten Mißwirtschaft im kleinen Griechenland, sondern wegen seiner eigenen, seit 2008 nicht bewältigten, sondern nur auf neue Felder verlagerten Krise. Damals haben globale Banken nicht mehr an die Einlösbarkeit der Zins- und Verwertungsversprechen geglaubt, in die sie investiert hatten. Sie haben sich aus entsprechenden Anlagen fluchtartig zurückgezogen und diese Finanzvermögen so schnell vernichtet, wie sie sie vorher durch Kreditgeben und -nehmen in die Welt gesetzt hatten. In dieser Branche besteht das Vermögen des einen in nichts als den Schulden des anderen, und die Unfähigkeit des Schuldners zu zahlen ruiniert den Gläubiger. Am Schluß hätte die Kettenreaktion der Zusammenbrüche das globale Bankensystem vernichtet, wenn die Staaten nicht eingeschritten wären. Die legen mit ihrer viele hundert Milliarden schweren Rettungsaktion Zeugnis davon ab, wie fundamental wichtig die Bereicherung der Banken für sie ist: Der spekulative Handel mit Schulden und Ertragserwartungen ist kein windiger Zusatz und Überbau über eine Ökonomie, in der es auf etwas anderes ankäme; er ist noch nicht einmal ein Privatgeschäft wie andere, das auch mal scheitern darf.

Dem Geschäft der Banken – nur ihm – billigen die Staaten »systemische Bedeutung« zu: Es ist Lebenselixier ihrer Wirtschaft und Quelle ihrer Macht. Alles in der Gesellschaft ist von seinem Gelingen abhängig – also auch ihm nachgeordnet. Die vielbeschworene Realwirtschaft funktioniert nur mit Kredit und hat nur die Aufgabe, der Verwertung des Finanzkapitals Stoff zu liefern. Sofern die Banken ihr das nicht mehr zutrauen oder Kredit nicht mehr gewähren können, lohnt sich das Produzieren und Verkaufen von Bedarfsgütern nicht mehr und wird zurückgefahren oder eingestellt. Die Ersparnisse und Geldreserven der Bürger werden in Form von Wertpapieren, zinstragenden Schuldforderungen, aufbewahrt, und sogar das Geld existiert und zirkuliert als Gutschrift auf Bankkonten, besteht also in Schulden der Banken gegen ihre Kunden. Wenn Banken zusammenbrechen, ist das Geld weg, das Volk enteignet, bricht der Zahlungsverkehr zusammen und mit ihm das Produzieren und Verkaufen. Für ihre Rettung ist dem Staat kein Einsatz zu hoch: Sie ist die Rettung des Systems selbst.

Die Bankenrettung macht aber auch kenntlich, was in normalen Zeiten gerne übersehen wird: Die Kreditwürdigkeit der Banken, ihre Geschäftsfähigkeit als allgemeiner Kreditgeber und Schuldner der Gesellschaft ist das Werk der politischen Macht. Sie können ihr Geschäft mit Schulden bei der staatlichen Notenbank »refinanzieren«, d.h. Schulden, die sie besitzen, bei ihr gegen frisches Geld, liquide Mittel tauschen. Nicht erst im Krisenfall garantiert die Zentralbank den Geschäftsbanken die entscheidende Gleichung von Schulden und Geld – und stiftet damit ihre Macht.

Das Geld, mit dem die Staaten die bankrotten Banken stützen und ihnen verlorenes Kapital ersetzen, nehmen sie kapitalistisch korrekt in Form neuer Staatsschulden auf Kapitalmärkten auf. Sie machen diese Schulden endgültig nicht, um Wirtschaftswachstum anzustoßen, sondern einzig, um von den Märkten selbst schon entwertete Finanzwerte in Kurs zu halten. Sie vermehren ihre Schulden und Schuldbedingungspflichten – aber nicht die Quellen, aus denen diese Pflichten zu erfüllen wären. Genau das nehmen die Banken ihren Rettern übel: Sie glauben immer mehr staatlichen Schuldnern nicht mehr, daß sie ihnen auf Dauer den Zinsdienst für ihre wachsende Schuldenlast leisten können. Sie stoßen deren Anleihen ab, verweigern den Ankauf neuer und treiben die betreffenden Staaten in den Bankrott.

Damit rührt das Finanzkapital an die zirkulären Grundfesten seiner eigenen Macht: Einerseits garantiert es mit seiner Bereitschaft, Schulden der Staaten zu kaufen, deren Kreditwürdigkeit und Finanzmacht; andererseits garantieren die Staaten mit ihrem hoheitlichen Kredit und ihrer Macht über das Geld die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit der Banken. Die für beide Seiten unverzichtbare Symbiose macht in guten Zeiten die berüchtigte Dynamik des Kapitalismus und die Finanzmacht des Staates aus. Jetzt ist sie schwer beschädigt: Europa steht wegen zweifelhafter Staatsschulden schon wieder vor einer Bankenkrise; und zur Abhilfe sind wieder nur die staatlichen Schuldenmacher in der Lage, deren Kreditwürdigkeit gerade angezweifelt wird.

»Hilfe« gegen Souveränität

Der Systemkrise ihres Kredits stellt sich die EU in der für sie typischen Weise. Einerseits anerkennen die deutsche, französische und andere Regierungen, daß sie Entwertung und Kollaps der in Euro denominierten Schulden der Partner nicht einfach zulassen können. Ihnen bleibt nur das fragwürdige Mittel, das sie bereits bei der Bankenrettung angewendet haben: Sie müssen schon wieder neue Staatsschulden auflegen, um die Finanzmärkte durch entschiedenes Kreditieren der griechischen etc. Schulden, denen diese das Vertrauen entziehen, zu beeindrucken. Andererseits denken sie gar nicht daran, ihren noch glaubwürdigen nationalen Kredit mit den Partnern zu teilen, d.h. Staatsschulden und Schuldendienst in der Euro-Zone zu fusionieren und das Schicksal des eigenen Nationalkredits unbedingt mit dem der Partner zu verbinden. Alles, was in diese Richtung weist – Euro-Bonds, eine Banklizenz für die EFSF, die Beauftragung der EZB mit der Kreditierung der insolventen Partner –, lehnt Berlin ab.

Es will den Kredit der Euro-Zone verteidigen, den Unterschied zwischen der guten deutschen Kreditwürdigkeit und der fragwürdigen südeuropäischen aber ebenso. Den nationalen Vorteil gibt man nicht preis – auch deshalb nicht, weil eine unbedingte Garantie für die Partner auch den eigenen Kredit beschädigen, möglicherweise ruinieren würde: Schon drohen Ratingagenturen Deutschland und Frankreich die Bestnote für ihre Papiere zu entziehen. Die Retter haben Grund, Mißtrauen gegen ihre eigenen, nicht geringen Schulden zu fürchten: Sie verlieren ihren Kredit, wenn sie die Euro-Zone nicht retten, und sie drohen ihn zu verlieren, wenn sie den Aufwand treiben, den es braucht, um sie zu retten. Die überzeugendsten Bürgschaften kommen daher gar nicht erst zustande. Man stattet den Garantiefonds mit einer von vornherein begrenzten Finanzmasse aus, die umgehend als unzureichend erkannt wird. Dann vervielfacht man die Haftungssumme mit finanztechnischen Tricks – »Hebeln« –, aber so, daß Risiken und Pflichten für die bürgenden Partner nicht steigen. Inzwischen hofft man, daß eine geringere Garantie für eine größere Masse gefährdeter Staatsschulden (nur noch 20 Prozent des Werts werden versichert) leisten möge, was die 100-Prozent-Garantie für die am Markt unverkäuflichen Papiere bisher schon nicht geleistet hat: den verunsicherten Finanzkapitalisten die Sicherheit ihrer Bereicherung zu stiften, die sie brauchen, um neue Investitionslust in europäische Staatsanleihen zu entwickeln.

Die EU besteht eben aus konkurrierenden kapitalistischen Staaten, die das auch bleiben wollen. Sie wirtschaften in einer Währung, aber wirklich gemeinsame Sache machen, einen Haushalt führen und die dafür nötigen Schulden aufnehmen und bedienen – das will diese Union nicht. Ihre Mitglieder lassen sich auf die gemeinsame Währung nur ein, um besser aneinander zu verdienen. Die Abschaffung der Nationalstaaten im Euro-Raum kommt für die deutsche Regierung und andere also nicht in Frage, die der finanzpolitischen Souveränität der Partner dafür um so mehr. Was die Kanzlerin durchsetzen will und mit entsprechenden Vertragsänderungen anstrebt, exerziert sie an den hilfsbedürftigen Partnern vor: Die werden mit ihrer Not dazu erpreßt, Haushaltskommissare von außen – vorerst die »Troika« – zu akzeptieren, die ihnen den Staatshaushalt führen und entscheiden, wofür noch Geld da ist und wofür nicht. Auf diesem Weg werden Länder, die europäische Kredithilfen brauchen, gezwungen, ihre Staatsausgaben so lange zu reduzieren, bis ihr Haushalt zu ihrer schwachen Wirtschaftsleistung und ihrem geringen Steueraufkommen paßt. Diese Anpassung kehrt die im Kapitalismus übliche Reihenfolge um, die sich ein Staat nicht freiwillig aus der Hand schlagen läßt. Er macht Schulden, um das Wachstum des Kapitals auf seinem Boden voranzubringen; dieses Wachstum, wenn es sich einstellt, rechtfertigt im nachhinein die Schulden. Kaum wird ein Staat, der wählen kann, seine Schulden einer unbefriedigenden Wirtschaftskraft anpassen und resigniert abwarten, was passiert. Den Pleitestaaten wird nun der Verzicht auf neue Schulden und gleichzeitig das Eintreiben von mehr Steuern abverlangt. Gegen die Verarmung ihrer Arbeiter, öffentlichen Angestellten, Studenten, Rentner haben sie nur eines einzuwenden, nämlich daß diese Kur ein sicheres Rezept für eine Vertiefung der Rezession ist. Wo Wachstum nur mit Staatsschulden zustande kommt, legt Haushaltsschrumpfung die Wirtschaft auch mehr oder weniger lahm.

Verarmung und Verbitterung

In Griechenland kommt das Verhältnis von Staatsschuld und BIP durch Haushaltskürzungen nicht in Ordnung, sondern verschlechtert sich weiter. Das finden die deutschen »Retter« bedauerlich, aber unumgänglich. Ihre Hilfe gilt dem Euro, nicht den Griechen. Ihnen geht es darum, die Märkte mit der Durchsetzungsfähigkeit des deutschen Sparregimes zu beeindrucken. Wann in Griechenland das Kapital wieder wächst, ist ihnen nicht wichtig.
Merkel und Schäuble streben an, eine Finanzaufsicht über die nationale Haushaltsführung auf alle Mitglieder der Euro-Zone auszudehnen: Die Staaten müssen national im Binnenmarkt um Wirtschaftswachstum konkurrieren, sollen aber das entscheidende Mittel dieser Konkurrenz nicht mehr in Eigenregie nutzen dürfen. Sie haben den Dienst am europäischen Geld über ihren nationalen Nutzen zu stellen. Sie sollen nicht mehr Schulden für Wachstum nach ihren Rechnungen machen, sondern haben sich das Recht, europäischen Kredit zu nutzen, durch vorgängiges Wachstum zu verdienen. Die deutsche Regierung mit ihrem XXL-Boom der letzten Jahre setzt darauf, daß eine derartige Vertragsänderung ihrer Schuldenmacherei keine Fesseln anlegen, die Partner aber unwiderruflich dem Primat des Gemeinschaftsgeldes unterordnen wird.

Die Politik der Euro-Rettung mit ihren Garantien und Sparhaushalten überwindet die vom Finanzkapital ausgehende Krise nicht, sondern setzt ihre Konsequenzen durch. Was auch sonst? Auf der Seite der Staatsschulden ist man beim Bekenntnis angelangt, daß eine Rettung aussichtslos ist. Es geht nicht mehr um die Verhinderung ihrer Entwertung, sondern um die Vermeidung der Kettenreaktion, die sie auszulösen droht. Ein 50prozentiger Schuldenschnitt soll die übrigen griechischen Schulden glaubwürdig machen; dafür braucht es schon wieder europäische Garantien und neue Hilfe für Banken, damit die die Vermögensverluste verkraften können, die ihnen das Eingeständnis der Wertlosigkeit ihrer Papiere zumutet.

Die Sparhaushalte im Dienst der finanziellen Glaubwürdigkeit bescheren der EU die Aussicht auf eine weitere Rezession, auf die die Staaten mit der weiteren Verarmung ihrer Bürger antworten. Derweil wächst die Schärfe der Krisenkonkurrenz zwischen den Mitgliedsländern ebenso schnell wie die gegenseitige nationalistische Verbitterung ihrer Völker. Mit denen geht es eben abwärts, solange das Finanzkapital seinen Glauben an die Zukunft seiner Profite nicht wiederfindet. Und solange die Völker darauf zu warten bereit sind.

Peter Decker ist Redakteur der Zeitschrift GegenStandpunkt. Weitere Informationen: www.gegenstandpunkt.com

Aus der jw vom 04.11.2011:

http://www.jungewelt.de/2011/11-04/021.php

als PDF

 

One Response »

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