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[online] 17.11.2011 | Nürnberg | Kubas neuester Aufbruch zum „Sozialismus“

Von • Nov 17th, 2011 • Kategorie: Veranstaltungen

Zeit: Donnerstag, 17. November 2011, 20 Uhr
Ort: K4, Weißer Saal, Königstr. 93, Nürnberg
Veranstalter: GegenStandpunkt Verlag

Kubas neuester Aufbruch zum „Sozialismus“: Eine Staatsreform in Richtung Drittweltkapitalismus

Im April hat die Kommunistische Partei Kubas radikale Reformmaßnahmen beschlossen: schrittweise Entlassung von bis zu einer Millionen Staatsbediensteten, die sich künftig in der erheblich ausgeweiteten privaten Kleinwirtschaft auf eigene Rechnung durchschlagen sollen; baldige Abschaffung der ohnehin immer armseligeren staatlich garantierten Grundversorgung; Verpflichtung der Betriebe auf gewinnorientierte Produktionsmaßstäbe; mehr Leistungslohnanreize und -vorgaben; mehr selbstwirtschaftende Kleinbauern und mehr freier Handel mit den knappen Lebensmitteln… Die staatliche Planung soll vorrangig auf die Entwicklung devisenbringender Wirtschaftszweige – insbesondere Tourismus und Rohstoffförderung – ausgerichtet und auswärtiges Kapital zum Investieren in diese Bereiche animiert werden…

Diese Reform streicht großen Teilen der Bevölkerung ersatzlos ihre bisherige Reproduktion als nicht mehr länger tragbare staatliche Haushaltslast, verweist das Volk auf privates Wirtschaften und Fertigwerden mit knappen finanziellen wie materiellen Mitteln und richtet große Abteilungen der nationalen Wirtschaft und der staatlich kommandierten Mittel nicht mehr am inneren Bedarf, sondern auf die Erwirtschaftung von Weltmarkterträgen aus. Das alles mit Verweis auf die verheerende Devisennot des Staats und die Belastungen des Staatshaushalts durch seine Gesellschaft sowie deren mangelnde Leistungen für die staatlichen Bilanzen. Dass Kuba in der heutigen imperialistischen Welt die Mittel fehlen, das wirft die Führung sich und ihrem Volk vor – und macht sich an die Rettung des Staats zu Lasten der Bevölkerung. Denn als Hauptschuldigen für die desolate Lage der Ökonomie und der Staatsbilanz hat die kommunistische Partei das Volk ausgemacht, das durch Staatsleistungen verwöhnt und dem Arbeiten entwöhnt worden sei. Die Führung spart nicht mit Kritik an Schlendrian, Faulheit und Anspruchsdenken der Bevölkerung und macht die staatliche Organisation der Ökonomie für den mangelnden Arbeitseinsatz der Kubaner haftbar, dem die staatlichen Haushaltsnöte geschuldet seien. Das verspricht sie abzustellen und ihre Massen durch ihre Reformen zu mehr Einsatz und Leistung hinzuregieren. Das und die Mobilisierung der nationalen Ressourcen für mehr Weltmarkterfolge soll die Staatsnot wenden.

Mit all dem wissen sich die Verantwortlichen dabei immer noch dem ‚Aufbau des Sozialismus in Kuba‘ verpflichtet:

„Wir sind davon überzeugt, dass wir die elementar Pflicht haben, die Fehler zu berichtigen, die wir in fünf Jahrzehnten des Aufbaus des Sozialismus in Kuba begangen haben… Die Maßnahmen, die wir nun anwenden, und alle Änderungen, deren Einführung bei der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells notwendig werden, sind darauf ausgerichtet, den Sozialismus zu erhalten, zu stärken und wahrhaftig unwiderruflich zu machen.“ (Rede Raul Castros, 18.12.2010)

Die Kapitulation vor den Sachzwängen eines Weltmarkts, der Kuba inzwischen zum internationalen Schuldenfall gemacht hat, propagieren die Verantwortlichen unverdrossen als Rettung des Sozialismus.

Für die bürgerliche Öffentlichkeit ist die Sache klar: Wenn Kubas Führung soziale Leistungen dem Staatserhalt opfert und angesichts der Devisennot und der auswärtigen Schulden des Staats beschließt, sich mehr an Weltmarktbedürfnissen auszurichten und am Volk zu sparen, dann beweist das, wie grundverkehrt sie mit ihrem ganzen Sozialismus immer schon gewirtschaftet und regiert hat. Man macht keinen Hehl daraus, dass die Masse der Bevölkerung in Kuba besser gestellt war und immer noch ist als in den einschlägigen Armenhäusern des Kapitalismus; aber ohne effektives, das heißt: kapitalistisches Wirtschaften, ohne freien Zugriff des Dollar- und Eurokapitals, ohne eine Herrschaft, die sich ganz an dessen Interessen und den (Unter-)Ordnungsansprüchen von dessen staatlichen Hütern ausrichtet, kommt ein Land nicht voran. Sich 50 Jahre lang gegen diese zynische Weisheit gesperrt zu haben, das ist das ewige Vergehen der KP. Die westliche Presse hält es für ausgeschlossen „dass die von Veteranen beherrschte KP die Wende schafft.“ (SZ, 19.4.) „Für wirksame Veränderungen ist auch ein Regimewechsel nötig“ (Hamburger Giga-Institut für Lateinamerika-Studien). Die Castros können machen was sie wollen, unter einer Selbstabschaffung des Regimes ist alles nichts.

Linke halten dagegen gerne am Vorbild Kubas für den Kampf gegen Armut, Unterentwicklung und US-Imperialismus fest und dem Land seine schwierige Lage zugute. Viele teilen das Selbstverständnis der kubanischen Führung, mit den Reformen würde darum gekämpft, „selbst unter sehr komplizierten Bedingungen den Sozialismus zu erhalten und zu entwickeln“ und die „beispielhaften Errungenschaften für das Volk zu erhalten“ (junge welt, 23.4.), die gerade endgültig abgeschafft werden. So geben sie weder sich und ihren Adressaten ordentlich Rechenschaft darüber, wie es um Kuba bestellt ist, und verwechseln selbst den Selbstbehauptungskampf eines Staates mit der Verteidigung des Sozialismus.

Die Veranstaltung zieht kritisch Bilanz über die Lage Kubas und die aktuellen Reformen, mit denen sie bewältigt werden soll; damit aber auch über die Weltmarkt- und Weltordnungsverhältnisse, in denen sich Kuba behaupten muss und will.

Update: Die Aufzeichnung der Veranstaltung steht bei argudiss zum Download bereit.

https://www.argudiss.de/kubas-neuer-aufbruch-zum-sozialismus-staatsreform-richtung-drittweltkapitalismus

I. Das kubanische Programm: eine Staatsreform in Richtung Drittweltkapitalismus. Ein Schlussstrich unter…
II. 5o Jahre „kubanische Sozialismus“: ein nationales Aus- und Aufbruchprogramm, seine Widersprüche und sein negativer Verlauf
III. Die Linke und Kuba: Vom Drittwelt-Revolutionsmodell zur Kuba-Solidarität heute

 

 

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One Response »

  1. Geradezu exemplarisches Anschauungsmaterial für linke Fehler in der Stellung zu Kuba dürfte diese Veranstaltung am 12. November im Rahmen der 16. Linken Literaturmesse Nürnberg liefern:

    Samstag, 12.11.2011, 12:00 Uhr, Weißer Saal
    Kuba reloaded: „Mit Bedacht, aber ohne Pause. Die Veränderungen in Kuba“
    ReferentInnen: Heinz Langer, Moderation Marion Leonhardt
    junge Welt und Verlag Wiljo Heinen

    Der langjährige DDR-Botschafter in Cuba und Lateinamerika-Spezialist Heinz Langer betrachtet in seinem Buch die Entwicklungen in Kuba seit 2007, legt Schwierigkeiten und Probleme dar, und erläutert wie die KP Kubas und der kubanische Staat gemeinsam mit dem kubanischen Volk die zu lösenden Aufgaben angehen ohne das Ziel des Sozialismus aufzugeben. Dazu gibt es einen Bericht zur Buchmesse in Havanna.

    http://www.linke-literaturmesse.org/index.php