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Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

[online] 17.11.2010 | Jena | Die Integrationsdebatte

Von • Nov 17th, 2010 • Kategorie: Veranstaltungen

Zeit: Mittwoch, 17.11.2010, 19 Uhr
Ort: Universität Jena, Carl-Zeiß-Straße 3, Raum 209
Veranstalter: Politische Gruppe Jena / Erfurt

Die Integrationsdebatte: Sarrazin und der öffentliche Streit um die richtige nationale Bevölkerungspolitik!

Warum dieser Wirbel um Sarrazin und sein Buch „Deutschland schafft sich ab“? Warum soll der Autor seinen Platz im Vorstand der Bundesbank räumen? Warum gilt er allen Parteien dort als unhaltbar, und warum drängt ihn die SPD aus der Partei? Die Volksparteien teilen doch die Prinzipien seiner Überlegungen zur Bevölkerungspolitik: Die hiesige Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund hat sich als „Humanressource“ für nationales Wachstum zu bewähren, hat für Zuwachs an innerer und äußerer Macht und dabei immer noch für brauchbaren Nachwuchs zu sorgen. Darauf hat Deutschland ein Recht, ruft Sarrazin. Die Gemeinheit dieses politischen Standpunktes, der Lebensunterhalt und Lebensrecht der Bewohner dieser Republik an ihren Nutzen für Staats- und Kapitalmacht bindet, wird nicht dadurch freundlicher, dass regierende Politiker ihre Bemühungen für Deutschland als Dienst an ihrem Volk, als Sorge um Arbeitsplätze, um Integration von Unterschichten und ihren Nachwuchs vorstellen.

Es muss etwas mehr als der „Tonfall“ sein, der angegriffen wird. An solche Töne hat man sich längst gewöhnen können bzw. müssen. Kein Stoiber („Durchrassung des deutschen Volkes“), kein Beckstein („Wir brauchen Ausländer, die Deutschland nützen, und keine Ausländer, die Deutschland bloß ausnützen.“), kein Rüttgers („Kinder statt Inder!“), kein Schröder („Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins – raus, und zwar schnell!“) musste dafür seinen Stuhl in Amt und Partei räumen. Was also stört die regierende politische Elite an Herrn Sarrazin?

Geht der Streit um praktische politische Konsequenzen? Wenn Sarrazin die Gefahr an die Wand malt „Unsere Bildungspopulation wird von Generation zu Generation immer dümmer.“ -, dann redet er an die Adresse von deutschen Bildungspolitikern, die mit Verweis auf ähnlich lautende PISA-Studien den „Standort Deutschland im globalen Wettbewerb“ mit Förderung von „Elitebildung“ nachrüsten. Wenn er menetekelt „Der Anteil der intelligenten Leistungsträger fällt kontinuierlich ab.“-, dann läuft er bei Familienministerinnen offene Türen ein, die mit ihrem Elterngeld den „intelligenten Leistungsträgerinnen“ Angebote machen, ihre merkwürdige Vorstellung von Frauenemanzipation zu verwirklichen, nämlich Karriere in der Elite und Kinderwunsch zu verbinden, und HartzIVlern den Kinderzuschuss streichen. Dass „etwas getan“ werden muss bei den Migranten & – innen, da habe Sarrazin vollkommen recht, aber wem sage er das – mault die regierende Elite. Was all diese Bildungs-, Familien-, Integrationspolitik ist und anrichtet, darüber wird dann schon mal nicht weiter debattiert. Sind es also doch Sarrazins theoretische Ausflüge in Sachen angeborener Intelligenz bzw. Dummheit, mit denen er sich außerhalb der political correctness stellt? Na ja. Den Unfug, dass Intelligenz irgendeine – sauschwer nachweisbare – Mischung aus Anlage und Umwelt, von Genen und Erziehungseinfluss sei, müssen   Lehramtsstudenten seit Jahrzehnten lernen, um erstens ihr Werk der schulischen Selektion an den Kindern deren Anlage zuzuschreiben, darüber aber zweitens nicht an ihrem Bildungsauftrag irre zu werden. Was ist das für ein Denken, warum wird es an einer Stelle gelehrt, an anderer inkriminiert?

Er trage zur „Spaltung zwischen In- und Ausländern“ bei, vertiefe damit die Kluft zwischen muslimischen Parallelgesellschaften und deutschen Eingeborenen, schimpft Frau Merkel. Darf man festhalten, dass diese „Spaltung“ nicht durch ein Buch von Thilo Sarrazin, sondern durch die nationale und europäische Ausländerpolitik hergestellt wird? An den Mauern um Europa und an der ausländerrechtlichenVerdächtigung von Einwanderern als Diener fremder Herren hat Sarrazin allenfalls in seiner Amtszeit als Finanzsenator von Berlin mitgewirkt. Ausländer von Amts wegen schlecht behandeln zählt aber offenbar anders, als schlecht über sie zu schreiben.

Dabei spaltet Sarrazins Machwerk in der Tat. Tatkräftig unterstützt von BILD und anderen Organen geht ein Riss durch die deutsche Bevölkerung. Dabei sind es ironischerweise die Deutschen, die Sarrazin für dumm erklärt, die sich in Scharen hinter ihm versammeln, während ihm aus deutschen Elitekreisen, von denen er sich für Deutschland mehr Kinder wünscht, der Wind scharf entgegen bläst.

Vielleicht liegt da ja der Hund begraben: Da hetzt ein führendes Mitglied der deutschen Elite und nicht etwa ein von vornherein als unglaubwürdig ausgegrenzter Neofaschist das Volk gegen Araber und Türken auf und sorgt für besorgte Kommentare aus dem Ausland. Und das, wo die Regierung einige Mühe aufwendet, für Frieden im Land und für Loyalität all jener Insassen mit und ohne Arbeit, mit und ohne Kopftuch, mit und ohne Schulabschluss, mit und ohne deutschen Pass zu sorgen, die den Willen aufbringen, sich in Deutschland in jeder Lebenslage zu bewähren, die Wirtschaft und Politik anrichten.

Da ist so einiges zu klären: Eine deutsche Debatte über Bevölkerungspolitik, aber nicht nur die Debatte…

Update:

Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist bei archive.org online verfügbar.

 

http://www.archive.org/download/DieIntegrationsdebatte/Sarrazin_Jena_17112010.mp3

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