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Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

Fundsachen: Die Wacht am Nein und ihre Kanzelschwalben – Die Verkehrung von Kritik zur Pose

Von • Nov 21st, 2015 • Kategorie: Allgemein

Meinhard Creydt

Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler Interessenpolitik, Autonomie und linke Denkfallen

VSA-Verlag; Hamburg 2015; 244 Seiten

 

Inhalt

Kapitel 15: Die Wacht am Nein und ihre Kanzelschwalben – Die Verkehrung von Kritik zur Pose (am Beispiel der »Marxistischen Gruppe« und des Netzwerks um die Zeitschrift »Gegenstandpunkt«)

Vorwort

(…)

Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Band der Frage, wie sich in den zum bürgerlichen Materialismus entgegengesetzten Denkweisen eine besondere Art der Bewältigung von Erfahrungen mit den Schranken des bürgerlichen Materialismus artikuliert. 7 Die zum bürgerlichen Materialismus kontroversen Positionen gehen nicht über seine Grenzen hinaus, weisen also bei allem Unterschied oder sogar Gegensatz zu ihm mit ihm zugleich große Gemeinsamkeiten auf. Die Gegenfixierung wird in diesem Band zum Thema.

Ihre Stärke erweist sich zugleich als ihre Schwäche. Sie bemerkt vor lauter berechtigter Kritik bzw. Abstoßung vom Kritisierten nicht, wie der Gegenstandpunkt als bloßes Gegenteil an dem teilhat, das er kritisiert. Solche Alternativen verhalten sich wie zwei Seiten eines Berges, die erst von seinem Gipfel aus zugleich sichtbar werden. Als Anschauungsmaterial für derartige Alternativen, für das Umschlagen einer Seite in die ihr entgegengesetzte und für ihre Metamorphosen bietet sich eine ideologiekritische Strömung an, die besonders deutlich zugleich dem bürgerlichen Materialismus und einem ihm scheinbar entgegengesetzten Radikalismus des politischen Willens folgt.

Unter den vielen Linken, die dem bürgerlichen Materialismus eine linke Variante hinzufügen, sticht eine vergleichsweise große, seit über 40 Jahren selten beständige und geschlossene Fraktion hervor. In der Frankfurter Rundschau vom 29.10. 2008 wird die 1991 aufgelöste Marxistische Gruppe (MG) als »einst zahlenstärkste Truppe der Neuen Linken« bezeichnet. Rainald Goetz schildert in seinem Roman »Irre« (1983) die Faszination, die von der MG auf die an ihr Interessierten ausging. Sie bestand nicht zuletzt im Eindruck, hier werde ein Unterschied gemacht, auf den es im Unterschied zu vielen anderen Unterschieden ankomme. Anhänger von MG/GSP pflegen das Selbstbild, sie würden Operationen zur Beseitigung aller Illusionen ohne Betäubung nicht nur vornehmen, sondern auch cool aushalten.

Gründliche Kritik tragen MG und und ihre Nachfolgestrukturen um die Zeitschrift »Gegenstandpunkt« (GSP) als Anspruch und Versprechen vor sich her wie eine Monstranz und werben mit ihr als Alleinstellungsmerkmal. In Bezug auf die Kritik an Illusionen über den Verteilungskampf (s. Kapitel 2) sowie die Fallstricke des parlamentarischen Weges für Linke 8 betreffend ließ und lässt sich von MG/GSP tatsächlich manches lernen. 9 Auch manche ihrer Kritiken an bürgerlicher Wissenschaft waren ein gutes Gegengift 10 und haben zur Antikörperbildung beigetragen. Die früh entwickelte Begründung für eine kapitalismuskritische Wissenschaftskritik (s. Kapitel 12) hat ein unausgeschöpftes Potenzial. MG/GSP unterscheiden sich positiv von anderen Linken durch das Wissen, dass es sich bei der Ambition, die Werte der bürgerlichen Gesellschaft gegen den Kapitalismus auszuspielen und sich als Kandidat für deren wahrhafte Umsetzung zu empfehlen, oft um eine self-defeating strategy handelt. Zentrale Werte der Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft wie Freiheit (vgl.

Krölls 2009: 20f.; Resultate 3: 31), Gleichheit (vgl. Krölls 2009: 24; Resultate 3: 10, 36), Gerechtigkeit (Landplage 1999: 6), Menschenrechte (vgl. Krölls 2013: 184-186) und Meinungsfreiheit (vgl. ebd. 178f.) werden auf die Praxis der bürgerlichen Vergesellschaftung durchsichtig gemacht. Daraus erwächst ein Einspruch gegen in diese Werte investierte übertriebene Erwartungen (»Hofferei« – Günther Anders). Der habilitierte Jurist Albert Krölls weiß die MG-Staatstheorie von 1979 (in Band 3 ihrer Theoriezeitschrift »Resultate«) in seiner Analyse des Grundgesetzes starkzumachen – gegen dessen in der Linken weit verbreitetes Verständnis in der Tradition der Abendroth-Schule.

In der linken Publizistik gibt es gewiss Schlechteres.11 Soweit die gute Nachricht. Wer sich mit den problematischen Implikationen der linken Variante des bürgerlichen Materialismus sowie der zum bürgerlichen Materialismus komplementären Gegenpositionen von Politizismus, Rationalismus und symbolischem Handeln (zu letzterem vgl. Kapitel 15) auseinandersetzen möchte, findet dafür bei MG/GSP reiches und zudem selten reines Material vor. Allein deshalb vergegenwärtige ich in diesem Band Positionen von MG/GSP aus den letzten 40 Jahren. 12 Nur wenige Passagen (v.a. in Kapitel 15) widmen sich nicht dem Thema »der bürgerliche Materialismus und die zu ihm komplementären Gegenpositionen«, sondern einer davon unterschiedenen Kritik an MG/GSP. Die von ihnen reklameartig beanspruchte Tabula rasa der Ideologiekritik entpuppt sich als Tischleindeckdich des in ihrem Horizont Unbewältigbaren. MG/GSP bilden in diesem Band ein Beispiel, um über sie hinausgehende, in der Linken weit verbreitete Argumentationsfiguren und self-defeating strategies herauszuarbeiten.

Es handelt sich um Denkfallen mit massiver politischer Wirkung.

http://www.vsa-verlag.de/index.php?id=6576&tx_ttnews[tt_news]=15779

http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Creydt-Der-buergerliche-Materialismus.pdf

 

 

KRITIK DES „GEGENSTANDPUNKT“

Buchbesprechung von Thomas Schwendener

 

Vor Kur­zem ist das Buch „Der bür­ger­li­che Ma­te­ria­lis­mus und seine Ge­gen­spie­ler“ des Au­to­ren Mein­hard Creydt er­schie­nen. Darin kri­ti­siert der Psy­cho­lo­ge und So­zio­lo­ge die Vor­stel­lun­gen des bür­ger­li­chen Ma­te­ria­lis­mus und sei­ner lin­ken An­hän­ge­rIn­nen. Der fol­gen­de Text ist eine Be­spre­chung der stärks­ten Mo­men­te des Bu­ches: der Kri­tik an der „Mar­xis­ti­schen Grup­pe“ und ihrer Nach­fol­ge-Zeit­schrift „Ge­gen­stand­punkt“.

Das po­li­ti­sche In­ter­net­ver­hal­ten jun­ger Män­ner zeich­net sich in aller Regel da­durch aus, dass knapp Ver­stan­de­nes mit gros­ser Geste und Ve­he­menz ver­tre­ten wird. Jeder, der sich ab und an in den ent­spre­chen­den Win­keln des In­ter­nets auf­hält, kennt es: Ir­gend­wann be­tritt einer den Raum, der sich durch be­son­de­re Prin­zi­pi­en­fes­tig­keit, hohe mo­ra­li­sche Au­to­ri­tät oder das Be­scheid­wis­sen aus­zeich­net.

Wäh­rend die ers­ten bei­den Ei­gen­schaf­ten im Spek­trum des Schul­buch­mar­xis­mus be­zie­hungs­wei­se der An­ti­deut­schen an­zu­tref­fen sind und ihnen mit­tels Ar­gu­men­ten meist re­la­tiv ein­fach bei­zu­kom­men ist – wobei die Be­tref­fen­den das selbst­ver­ständ­lich sel­ber kaum mit­krie­gen – wird es bei den An­hän­gern der Zeit­schrift „Ge­gen­stand­punkt“ (GSP) etwas schwie­ri­ger. Schliess­lich ist das Mit­tel der Pro­fi­lie­rung die­ser Be­scheid­wis­sen­den das „bes­se­re Ar­gu­ment“ und ihr pro­kla­mier­ter Zweck die Er­klä­rung und Kri­tik eines Ge­gen­stan­des.

Sche­ma und Denk­be­schrän­kung

Selbst­ver­ständ­lich kann man längst nicht alle Freun­dIn­nen des GSP der Ka­te­go­rie des pro­fi­lie­rungs­be­gie­ri­gen Be­scheid­wis­sers zu­schla­gen, aber den­noch soll die Frage ge­stat­tet sein, warum unter sei­nen An­hän­gern die­ser Typus recht weit ver­brei­tet ist. Laut Creydt be­die­nen die Au­to­rIn­nen des GSP die „Men­ta­li­tä­ten (…) Be­leh­ren und Recht­ha­ben“ (128), weil sie die „nicht­in­ten­dier­ten, in­di­rek­ten und la­ten­ten Ef­fek­te ihres Tuns“ (129) kei­ner Auf­merk­sam­keit wür­di­gen. In den theo­re­ti­schen Ur­teils­ver­kün­dun­gen des GSP geht es „nicht darum, sich einer Po­si­ti­on ge­wach­sen zu zei­gen, son­dern ab­zu­fer­ti­gen und zu ver­reis­sen“ (217). Statt sich auf einen Ge­gen­stand ein­zu­las­sen und ihn in sei­ner oft­mals wi­der­sprüch­li­chen Rea­li­tät theo­re­tisch zu ent­wi­ckeln, wird an ihm die ei­ge­ne ar­gu­men­ta­ti­ve Über­le­gen­heit de­mons­triert. Der in­tel­lek­tu­el­le Zen­tra­lis­mus des „Ge­gen­stand­punk­tes“ – bei ei­ni­gen Adep­t­In­nen exis­tiert das Wis­sen ge­wis­ser­mas­sen in von den ei­ge­nen geis­ti­gen Po­ten­zen ge­trenn­ten (Lehr-)Per­so­nen – bringt dabei al­ler­hand un­er­quick­li­che Phä­no­me­ne her­vor: Nur we­ni­ge An­hän­ge­rIn­nen der grau­en Hefte ken­nen über­haupt eine an­de­re po­li­ti­sche Spra­che als jene des GSP-Dis­kur­ses.

Kom­ple­xe Pro­ble­ma­ti­ken wer­den „dar­auf­hin durch­fil­tert, ob (…) axio­ma­ti­sche Grund-Sät­ze ver­letzt oder be­stä­tigt wer­den“ (187), was zu einer ganz ei­ge­nen Art der Auf­merk­sam­keit führt. Da das ei­ge­ne „nicht be­wuss­te Denk­netz­werk“ – das sich auch in sei­ner sprach­li­chen Re­pro­duk­ti­on zeigt – nicht the­ma­ti­siert wird, wird „die Auf­nah­me neuer Er­kennt­nis­se (…) dann mas­siv be­ein­träch­tigt, wenn sie zu den be­ste­hen­den Be­wusst­seins­in­hal­ten nicht pas­sen“ (125) und damit im Den­ken iso­liert blei­ben. Damit wird eine pro­duk­ti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit an­de­rem Den­ken un­ter­lau­fen und „es bleibt dann meist dabei, den Be­kehr­ten zu pre­di­gen“ (212). Ei­ni­ge der Vor­hal­tun­gen tref­fen be­stimmt auf ver­schie­de­ne theo­re­ti­sche Strö­mun­gen zu; aber es ist doch frap­pant, wie sprach­lich und ge­dank­lich uni­form es in den be­tref­fen­den Mi­lieus zu und her geht.

Sub­jekt, In­ter­es­se, Psy­cho­lo­gie

Na­tür­lich könn­te man ein­wen­den, dass das alles ei­gent­lich keine Rolle spiel­te, wenn nur die In­hal­te und Ar­gu­men­te rich­tig seien. Tat­säch­lich muss man dem GSP zu­min­dest zu­gu­te­hal­ten, dass er al­ler­hand (linke) Il­lu­sio­nen und Dog­men rich­tig de­stru­iert hat und damit die theo­re­ti­sche Er­ha­ben­heit sei­ner An­hän­ge­rIn­nen über die linke Szene zu­min­dest im An­satz in der Rea­li­tät fun­diert ist. Bloss sind die ent­wi­ckel­ten In­hal­te laut Creydt meist kei­nes­wegs kor­rekt. Viel­mehr seien „viele der MG/GSP-Tex­te (…) ihrem Ge­gen­stand wenig ge­wach­sen“ (130); was man zum Teil auch auf die theo­re­ti­sche Ver­fah­rens­wei­se, den end­gül­ti­gen agi­ta­to­ri­schen Ur­teils­spruch, be­zie­hen kann. Im gröss­ten und stärks­ten Teil des Bu­ches wid­met sich der Autor red­lich und un­auf­ge­regt der Theo­rie­pro­duk­ti­on der MG/GSP und weist nach, wo sie sich irren.

Das Meis­te davon weiss zu über­zeu­gen: Der GSP macht die Ka­pi­ta­lis­tIn­nen mit ihren Zwe­cken zum Sub­jekt des Ka­pi­ta­lis­mus, statt die öko­no­mi­sche Ei­gen­ge­setz­lich­keit des Ka­pi­tals zu the­ma­ti­sie­ren und zu ent­wi­ckeln, wie die In­di­vi­du­en in ihrem „Auf­ein­an­der­stos­sen“ eine „über ihnen ste­hen­de, frem­de ge­sell­schaft­li­che Macht“ (Karl Marx, MEW 42, 127) pro­du­zie­ren. Zudem fas­sen MG und GSP „die Ar­beit­neh­mer­inter­es­sen nicht als das auf, was sie sys­tem­im­ma­nent sind, son­dern laden sie still­schwei­gend auf mit einem an­de­ren In­halt“ (60). Da gibt es dann nicht mehr ein gül­ti­ges In­ter­es­se der Lohn­be­zie­he­rIn­nen sich gegen, aber auch mit dem Ka­pi­tal zu re­pro­du­zie­ren, die Ar­bei­te­rIn­nen ma­chen laut GSP schlicht einen Feh­ler, weil ihre Ab­hän­gig­keit vom Un­ter­neh­mer nicht „ihr Mit­tel“ (GSP 4/96, 82) sei. Hier müss­te man die Kal­ku­la­ti­on der Pro­le­ta­ri­sier­ten mal ernst neh­men, die sie in Hin­blick auf Heim­com­pu­ter, Klein­wa­gen und Som­mer­fe­ri­en vor­neh­men. Das ra­tio­na­lis­ti­sche Welt­wild der Pro­pa­gan­da­trup­pe bleibt auch blind für psy­cho­lo­gi­sche Pro­zes­se, die eben nicht ein­fach ein Re­sul­tat der ge­dank­li­chen Ver­ar­bei­tung der Welt sind.

„Gegen die kri­tik­wür­di­ge Po­si­ti­on, Ge­füh­le eines In­di­vi­du­ums hät­ten nichts mit sei­nen Ge­dan­ken zu tun, wird die kom­ple­men­tär pro­ble­ma­ti­sche Po­si­ti­on ge­setzt, Ge­füh­le seien nichts an­de­res als das Re­sul­tat von Ge­dan­ken“ (112). Dem­ge­gen­über ent­wi­ckelt Creydt in einem ei­ge­nen Ka­pi­tel Be­schaf­fen­heit und Zu­sam­men­hang von Denk­pro­zes­sen und psy­chi­schen Pro­zes­sen.

Doch nicht nur in­halt­li­che Feh­ler wer­den of­fen­ge­legt, auch die Vor­stel­lung der Auf­klä­rung der Men­schen durch gute Ar­gu­men­te wird einer Kri­tik un­ter­zo­gen. Dabei the­ma­ti­siert Creydt die Prä­for­ma­ti­on des bür­ger­li­chen Be­wusst­seins durch „ob­jek­ti­ve Ge­dan­ken­for­men“, gegen die Auf­klä­rung kaum an­kommt.

Zudem weist er auf den ganz und gar äus­ser­li­chen Stand­punkt des „Ge­gen­stand­punk­tes“ hin: „Für MG/GSP exis­tiert keine in der ge­sell­schaft­li­chen Rea­li­tät vor­han­de­ne Ten­denz, auf die sie sich ein­las­sen kön­nen als etwas, das es zu ver­stär­ken und ent­wi­ckeln gilt. MG/GSP tre­ten mit ihren Fens­ter­re­den der ge­sell­schaft­li­chen Rea­li­tät von aus­sen ent­ge­gen.“ (212)

Der Staat als Schöp­fer­gott

Einen be­son­de­ren Stel­len­wert im Theo­rie­ge­bäu­de des GSP nimmt der Staat ein. Auch dies­be­züg­lich ist der MG-Agi­ta­tor sich sei­ner Ver­ant­wor­tung ge­gen­über den An­hän­ge­rIn­nen be­wusst und er­klärt in Bezug auf die so­ge­nann­te Staats­ablei­tungs­de­bat­te der 70er Jahre

voll­mun­dig: Die vor­lie­gen­de Ana­ly­se „ist (…) die Staats­ablei­tung, be­en­det also jene un­se­li­ge De­bat­te für all die­je­ni­gen, die ein In­ter­es­se an der Er­klä­rung des Staa­tes haben (…)“ (Karl Held, der bür­ger­li­che Staat, 1). In der Staats­ablei­tungs­de­bat­te wurde ver­sucht, die Form Staat aus den öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­sen ab­zu­lei­ten und zu zei­gen, warum eine aus­ser­öko­no­mi­sche Zwangs­ge­walt für die Re­pro­duk­ti­on des Ka­pi­ta­lis­mus not­wen­dig ist und wie diese mit den Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­sen ver­bun­den ist. Bei MG/GSP nun gerät der Staat zum De­mi­ur­gen der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft, diese „gilt als Re­sul­tat des staat­li­chen Wir­kens“ (66). Was als kom­ple­xe wech­sel­sei­ti­ge Vor­aus­set­zung und Her­vor­brin­gung ver­stan­stan­den wer­den muss, wird beim GSP zur blos­sen Ein­bahn­stras­se. Denn „aus den markt­wirt­schaft­li­chen De­mo­kra­ti­en des Wes­tens ist (…) zu ler­nen, dass sie mit ihrer Ge­walt tat­säch­lich alles das schaf­fen, wor­auf sie sich wie auf eine vor­find­li­che ‚Lage‘ (…) be­zie­hen“ (GSP 1/1994, S. 19). Es ist nun nicht von der Hand zu wei­sen, dass eine Ge­sell­schaft, die auf Tausch­be­zie­hun­gen be­ruht, etwa auch staat­lich ga­ran­tier­te Rechts­be­zie­hun­gen ken­nen muss, damit die über den Tausch ver­mit­tel­te An­eig­nung nicht ge­walt­sam ge­stört wird. Das Recht wird in der Theo­rie des GSP aber nicht als Not­wen­dig­keit der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ver­stan­den, son­dern die bür­ger­li­che Ge­sell­schaft gilt als Re­sul­tat staat­li­chen Wir­kens.

Damit stellt der GSP den Zu­sam­men­hang schlicht auf den Kopf. Es gälte ge­ra­de den not­wen­di­gen Zu­sam­men­hang von Staat und Öko­no­mie in ihrer wech­sel­sei­ti­gen Ver­wie­sen­heit zu ent­wi­ckeln, statt die bür­ger­li­che Ge­sell­schaft schlicht aus dem Staat fol­gen zu las­sen.

Hiess es beim frü­hen Marx noch, dass es ein Aber­glau­be sei, „dass das bür­ger­li­che Leben vom Staat zu­sam­men­ge­hal­ten wer­den müsse, wäh­rend um­ge­kehrt in der Wirk­lich­keit der Staat von dem bür­ger­li­chen Leben zu­sam­men­ge­hal­ten wird“ (MEW 2, 127), wird beim Ge­gen­stand­punkt nicht nur die Ge­sell­schaft vom Staat ge­schaf­fen, son­dern der Staat muss auch die All­ge­mein­heit gegen die reine Par­ti­ku­la­ri­tät stif­ten. Die Staats­theo­rie des GSP kennt „keine dem öko­no­mi­schen Ge­sche­hen im­ma­nen­ten Mo­ti­ve für den Will­kür­ver­zicht der Bür­ger oder für den Ver­zicht auf ihren un­mit­tel­ba­ren Ego­is­mus und für die Ver­fol­gung der In­ter­es­sen unter An­er­ken­nung der Be­din­gun­gen des Sys­tems der Pri­vat­in­ter­es­sen“ (65). Nein, laut MG han­delt es sich beim Ka­pi­ta­lis­mus um „ge­walt­sam ge­schaf­fe­ne und er­hal­te­ne so­zia­le Ver­hält­nis­se“

(Karl Held, Die Psy­cho­lo­gie des bür­ger­li­chen In­di­vi­du­ums, 17). Man soll­te aber weder am Selbst­ver­ständ­nis der Bür­ge­rIn­nen an­knüp­fen, die ihre Un­ab­hän­gig­keit und ihr Son­der­in­ter­es­se ver­ab­so­lu­tie­ren, noch soll­te man die Re­la­ti­vie­rung ihrer Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen rein der staat­li­chen Sphä­re zu­schrei­ben. Denn im Ge­gen­satz etwa zum Feu­da­lis­mus sind die ge­sell­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen und die An­eig­nung des Mehr­pro­dukts im Ka­pi­ta­lis­mus ge­ra­de nicht not­wen­dig mit aus­ser­öko­no­mi­schem Zwang ver­bun­den, son­dern mit der Gleich­heit und Frei­heit der Tau­schen­den in der Zir­ku­la­ti­ons­sphä­re. Die oben er­wähn­ten Tausch­be­zie­hun­gen sind Wil­lens­be­zie­hun­gen, die die Tau­schen­den frei­wil­lig ein­ge­hen; wenn auch die staat­li­che Ge­walt den Re­gel­bruch im Aus­nah­me­fall sank­tio­nie­ren muss.

Das Buch ist le­sens­wert und die Kri­tik an MG/ GSP ist gut in­for­miert und sau­ber durch­ar­gu­men­tiert.

Mein­hard Creydt:

Der bür­ger­li­che Ma­te­ria­lis­mus und seine Ge­gen­spie­ler.

In­ter­es­sen­po­li­tik, Au­to­no­mie und linke Denk­fal­len; VSA-Ver­lag; Ham­burg 2015; 244 Sei­ten

Dieser, hier geringfügig gekürzte Artikel erschien unter der Überschrift „Über das Bescheidwissen und seinen Inhalt“ in:

vorwärts – die sozialistische zeitung, Zürich, Nr. 29/30 vom 28.

August 2015

http://www.scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=53723&cHash=3974f21185

5 Responses »

  1. Ich finde es gelinde gesagt eigenartig, daß irgendsoein Gscheiterl und Auskenner aus dem linken Lager nix Wichtigeres zu tun hat, als die MG und den GSP zu kritisieren und dem sogar ein ganzes Buch zu widmen.

    Was anderes fallt ihm nicht ein, was der publizistischen Aufmerksamkeit würdig wäre?

    Etwas verwundert,
    ein Bewohner von Staat und Marktwirtschaft

  2. 1) Die Kritik am „Gegenstandpunkt“ bildet nicht das Hauptthema des Bandes, das wäre dann doch der Ehre zuviel, wohl aber eine ihn durchlaufende sekundäre Reflexionsebene, in der die zuvor analysierten Probleme noch einmal vergegenwärtigt&verdeutlicht werden. Das zeigt auch ein Blick ins Inhaltsverzeichnis:

    http://www.vsa-verlag.de/uploads/media/www.vsa-verlag.de-Creydt-Der-buergerliche-Materialismus.pdf

    2) Das Thema des Buches (lt. Klappentext):
    Bürgerliche Materialisten beziehen sich auf »ihren« Arbeitsplatz, auf den Erfolg »ihres« Betriebs, auf die Rendite ihrer Geldanlage sowie auf das Florieren »unserer« Wirtschaft als Bedingung dafür, ihre Interessen realisieren zu können. Zugleich halten sich die Bürger moderner kapitalistischer Gesellschaften eine Autonomie gegenüber der Interessenpolitik zugute, wenn sie politisieren, an die Vernunft glauben oder den Selbstzweck (z. B. der Menschenwürde) achten. Die spannungsreiche Einheit beider »Seelen« in der Brust des modernen Bürgers ist das Thema dieses Bandes. Viele kapitalismuskritische Argumentationen (z.B. der Zeitschrift »Gegenstandpunkt«) bewegen sich zu ihrem Schaden unbewusst innerhalb dieses Dualismus. Der Band vertieft die Erkenntnis seiner Problematik zusätzlich durch die Aufmerksamkeit für linke Denkfallen.

    3) Kein Anlass besteht dafür, die Kritik an „Staat und Marktwirtschaft“ gegen Creydts Kritik an MG/GSP auszuspielen. Der Band formuliert eine Kritik am bürgerlichen Materialismus und s e i n e n Gegenspielern (Politik, Rationalismus, Menschenwürde-Diskurs). Vor diesem Hintergrund analysiert der Band die systematischen Fehler der Positionen von MG/GSP. Die Kritik zeigt: Die Inhalte, die MG/GSP unter die Leute bringen, bilden keinen guten Beitrag für eine Politik, die den Kapitalismus überwinden will.

    4) Informationen über die Bücher von M. Creydt und seine Artikel finden sich auf der Netzseite http://www.meinhard-creydt.de und an vielen anderen Stellen im Netz.

  3. „Das Buch (von Creydt) ist … sauber durchargumentiert“, lobt Thomas Schwendener. Und meint:

    „Tatsächlich muss man dem GSP zumindest zugutehalten, dass er allerhand (linke) Illusionen und Dogmen richtig destruiert hat… . Bloss sind die entwickelten Inhalte laut Creydt meist keineswegs korrekt.“

    Der GSP beherrscht also die Kunst, so allerhand richtig zu destruieren, dies aber meist nicht korrekt.

    Na hoppla, das ist doch mal eine echt saubere Durchargumentation für Creydt und gegen den GSP.

  4. Der Band „Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler. Interessenpolitik, Autonomie und linke Denkfallen“ von Creydt (VSA-Verlag 2015) ist für alle an kapitalismuskritischer Gesellschaftstheorie Interessierten lesenswert.

    Wer sich am „Gegenstandpunkt“ orientiert oder sich für ihn interessiert, findet die bislang gründlichste und fundierteste Auseinandersetzung mit dessen Positionen und „Logik“.

    Eine (im Vergleich zur Besprechung von Thomas Schwendener bessere) Rezension findet sich in Nr. 39 von „kritisch lesen“:

    http://kritisch-lesen.de/rezension/interessen-und-ideale

  5. Eine kritikwürdige Hauptstoßrichtung des Buchs erhellt aus folgender
    Stelle:
    Zi t a t
    „Im ersten Kapitel würdige ich linke Standardargumente gegen die utilitaristische
    Ideologie. Wo diese Kritik Recht hat, hat sie Recht. Zugleich
    neigt sie oft dazu, im Klassengegensatz irrigerweise den argumentativen Joker
    zu sehen. Damit verbindet sich notorisch die Auffassung, die kapitalistische
    Ökonomie habe ein souveränes Subjekt: die »herrschende Klasse«.3
    Die Vorstellung vom Kapital als Mittel der Reichen verstellt die Aufmerksamkeit
    für die subjektlosen, sich allen Akteuren entziehenden und sie beherrschenden
    kapitalistischen Strukturen.“

    Creydt und Konsorten gefallen sich wie andere vor ihnen in einer elitären Sorte
    Durchblickerei, die sie meinen als Entlarvung sowohl gegen wirkliche Kapitalismuskritiker
    als auch gegen herrschende Ideologien hinsichtlich ihrer bloß bürgerlich-materia-
    listischen Befangenheit wenden zu können, wo nichts für sich substantieller Wider-
    legung unterzogen wird, sondern nichts als Gegenüberstellungen zu Creydt’schen
    Eingebungen eines über das Partikulare der Interessen hinausweisenden Horizonts,
    soziologischer Leerformel „gesellschaftliche Synthesis“ und überhaupt
    eines nichtssagenden, pleonastisch daherkommenden Abstraktionskübels „gesellschaftliche
    Vergesellschaftung“ als Kritik ausgibt:

    „…werden demgegenüber diejenigen Probleme materialiter zum Thema, vor denen die
    Mitglieder moderner Gesellschaften stehen, wenn sie ihre gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesse und ihre Vergesellschaftung gesellschaftlich gestaltenwollen.
    Der vorliegende Band wendet sich gegen eine Gesellschaftskritik,
    die den Kapitalismus nicht vor dem Hintergrund dieser Probleme begreift.“

    – und offenbaren doch nichts als Unsinniges, eine
    interessierte Fehlermacherei.

    Diese Entlarver verfertigen eine verkehrte Konfrontation zwischen dem Konkurrenz-
    system und dem, wie sich sog. „Akteure“ – eine falsche Abstraktion, weil die
    „Akteure“ sehr gegensätzliche Interessen verfolgen – dazu stellen bzw. darin vor-
    kommen. Konkurrenz um Gelderwerb bzw. Geld-/Kapitalakkumulation auf Seiten
    der Kapitaleigner bringt als „anarchisches“ Gegeneinander um die Mehrung abstrakten
    Reichtums notwendig mit sich, dass den einzelnen Kapitalen die Regie darüber ent-
    zogen ist, wie ihre Konkurrenzgeierei letztlich ausgeht: erst im nachhinein stellt sich
    auf Märkten heraus, ob der produzierte kapitalistische Reichtum sich als solcher be-
    währt.
    Creydt und andere zynische Besserwisser deklarieren „Akteure“ zu Marionetten
    ihres eigenen Konkurrenzladens. Es verhält sich genau umgekehrt so, dass Kapital-
    eigner in ihrem von C. verächtlicht gemeinten „instrumentellen Verhältnis“ zu ihrer Reichtums-
    quelle (verächtlich nicht etwa ob der darin obwaltenden ökonomischen Gewalt gegen
    die Produzenten, sondern als Desavouierung der Unternehmerklasse als kleine Wichte
    gegenüber den angeblich, allerdings dem Irrsinn des Creydt entspringenden „subjekt-
    losen Strukturen“) sich in der Weise sehr souverän ökonomisch rüsten, v.a. auf Kosten
    von Lohn und Lebenskraft von Lohnabhängigen, dass sie möglichst als Sieger aus
    dem marktwirtschaftlichen Geschachere hervorgehen. – Zugleich ist denen so sicher
    wie das Amen in der Kirche geläufig, dass sie der Konkurrenzgeierei auch nicht
    standzuhalten in der Lage sein können : und wer entscheidet dann sehr selbstherrlich
    darüber,dass drohende Unternehmenspleiten die Arbeiter mit Entlassungen aus Lohn und Brot
    zu bezahlen haben?!‘
    An den Kapitalisten festzumachen, die wären im Grunde Abhängige von ihnen nicht
    „steuerbarer Strukturen“ erfüllt den Tatbestand einer einzigen Verharmlosung dessen,
    mit welchen Gemeinheiten der Verarmung und Leistungsaussaugung von Arbeitern sich
    Unternehmer als selbstbewußte Subjekte der Konkurrenz gerieren.

    Creydt gefällt sich auch als gekonnter Marx-Verfälscher: die Sache mit dem „stummen
    Zwang der Verhältnisse“ soll dafür stehen, dass die „Akteure“ denen ohnmächtig aus-
    geliefert seien.
    Der Satz steht der Wahrheit nach für die Verrücktheit einer Wirtschaftsweise, wo den
    Agenten der kapitalistischen Produktionsweise die gleichwohl selbsttätig eingegangenen
    Verhältnisse wie Zwangsverhältnisse entgegentreten, also deren ökonomische Ein-
    richtungen, die allerdings zum Inhalt ihrer Interessenverfolgung gemacht, gemäß
    deren Bestimmungen das Handeln diktieren: Kapital verlangt nach dessen Vermehrung,
    Lohn nach viel Arbeit für den Anwender mit dem Resultat lebenslanger Armut. Es werden
    sich lauter politökonomische Zwecke zu eigen gemacht, die keinem gewußten Plan
    entspringen. Nur: in dem, mit welchen ökonomischen Mitteln die verschiedenen
    Agenten ihren Einkommenserwerb betreiben, da ist eben entscheidend, wer kraft Mono-
    polisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel als Kapital jedenfalls grundsätz-
    lich seinen kommerziellen Vorteil mit dem Einsatz von enteigneten Produzenten
    systematisch und vom Staat ins Recht gesetzt organisiert, welche letztere deswegen
    nichts als das Los marktwirtschaftlicher Knechtschaft verordnet kriegen.

    Weitere erstaunliche Entlarvungen erhellen folgende Beispiele:
    Zi t a t
    „…Wer meint, das Zu-kurz-Kommen von Interessen (z.B.
    als Lohnabhängiger) oder die Erfahrung der Zumutungen und Schädigungen
    sei der sichere Ausgangs- und Stützpunkt, von dem aus sich die bestehen-
    de kapitalistische Wirtschaftsordnung kritisieren lasse, erhebt den bürgerlichen
    Materialismus zum Maßstab seiner Bewertung.“

    Hier wird falscher Gegensatz von „Erfahrungen der Zumutungen und Schädigungen“
    und „Kritik der kapitalistischen ‚Wirtschaftsordnungen“ in die Welt gesetzt:‘
    Zumutungen und Schädigungen der Arbeiter durch Leistungserzwingung und
    materieller Armut durch Lohnarbeit sind der Ausgangspunkt für eine Kritik
    daran, warum und inwiefern das elende Los von Werktätigen begründet ist darin,
    wie sie als Mittel der Kapitalverwertung eingeplant sind. – Allerdings: a l s
    Lohnarbeiter sein Dasein fristen zu wollen, verrät eine anti-kritische Stellung
    zum Lohnarbeitssystem: nicht d a s s der Arbeiter
    materielle Interessen verfolgt, ist das Kritikwürdige, sondern wie bei der
    Verfolgung derselben die Schranken beschaffen sind, die das notwendige
    Scheitern gescheiten Materialismus begründen.
    Im Grunde zielt der gemeine Vorwurf „bürgerlicher Materialismus zum Maß-
    stab machen“ auf eine Linke, die mit dem Aufruf an die Arbeiter
    zur Durchsetzung eines Materialismus, der diesen Namen ver-
    dient, diese darin erinnert, dass dies damit zusammenfallen würde, die
    Schranken des Lohnarbeitssystems selber zu überwinden.
    Ein Creydt macht daraus eine Parteinahme für im Lohnarbeitssystem befangene
    Betätigung des materiellen Interesses als bloßen „Verteilungskampf“. – Und:
    als Aufruf zur Revolution hat man dies noch nicht vernommen. Also: was soll der
    Vorwurf, der gezielt lügnerisch unterstellend lanciert wird wie heuchlerisch ist?!
    Selbst, wenn dieser Vorhalt auf eine längst verflossene revisionistische Linke
    zielt, wird dies gar nicht als ein Fehler festgehalten, wie diese den
    widersprüchlichen „Dualismus“ von Arbeitermaterialismus und Festhalten an
    der Lohnarbeit als Erwerbsquelle nicht anfechtend meint, den materiellen
    Fortschritt der Lohnarbeiterexistenz sich auf die Fahnen zu schreiben – son-
    dern Creydt geißelt ein „erziehungsdiktatorisches“ Bestreben der Linken
    zur Besinnung der Arbeiter auf ihre „wahren Interessen“ , was sich deshalb
    rächen würde, weil die Linke, so der schlaumeierische Soziologe Creydt,

    „…die Selbstreproduktion der kapitalistischen Gesellschaft
    nicht zu denken vermag,…“
    -also gegen sich reproduzierenden Lohnwerker keine Agitation gewachsen
    ist.
    Und kriegt zugleich eine unvermittelte Parteinahme des Arbeiterfreundes
    für den Staat hin:

    „..dem avanciert leicht der Staat zur politischen Basis
    der Ökonomie (s. Kapitel 4). Die Staatspolitik hat dieser Auffassung zufolge
    in der gegebenen modernen kapitalistischen Gesellschaft das letzte
    Sagen. Dann kann (und soll) die gesellschaftliche Veränderung vom Staat
    bzw. von dessen Umbesetzung ausgehen..“

    Der Staat avanciert damit zur helfenden Hand der Linken, die Arbeiter zu
    ihren „richtigen Interessen“ zu bekehren. Dies ist nichts als Nonsens. Auf den
    Staat kommen Arbeiterfreunde gar nicht wegen eines Vermittlungsproblems
    in Sachen wahrer Interessen: der bürgerliche Staat will erstmal seiner Zwecke
    der nationalen Kapitalakkumulation entledigt sein, die es also erstmal sind;
    die den Arbeiterverehrer stören, um im Weltbild des Linken als dazu gegensätzlich
    gestrickte Instanz, nämlich als Arbeiterstaat seine guten Werke zu verrichten.

    An entscheidender Stelle, nämlich sein soziologistisches Anliegen entsprechend,
    wird die verkehrte wie gemeine Antwort auf „bürgerlichen Materialismus“,dem
    der Creydt gekonnt auch wirklichen Kapitalismuskritikern in perfider Weise
    als eine Untervariante desselben unterjubelt, nämlich eine Sorte Anti-Materialismus, wie ihn
    linksgestrickte Soziologen schon immer beherrschen und predigen, zum Besten
    gegeben:

    „Anhänger der linken Variante des bürgerlichen Materialismus benennen
    am Kapitalismus allerhand Probleme erster Ordnung (aus dem Kapitalismus resultierende negative Effekte), nicht aber Probleme zweiter Ordnung. Sie betreffen die wirkliche oder vermeintliche »Daseinsberechtigung« des Kapitalismus. Konstitutiv für die nachkapitalistische Gesellschaft sind die Überwindung des Motivationshorizonts der partikularen Interessen der Privateigentümer und die Gestaltung der gesellschaftlichen Synthesis bzw. Vergesellschaftung durch die Gesellschaftsmitglieder.“

    Am abstrakt gesellschaftlichen Beieinandersein erfüllt sich für diesen Kritiker des
    bürgerlichen Materialismus das wirkliche Interesse der Leut, also wenn es jeder Be-
    stimmtheit, jeder materiellen Beschaffenheit beraubt ist.
    Und wer sich diese Anfeindung gegen materielle Interessen nicht zu eigen macht, dem
    bescheinigt der Creydt, in einer Parteinahme für Kapitalismus befangen zu sein, weil „utopisch“ erscheinend,was sich der Soziologe als „ nachkapitalistische Sozialität“ ausmalt:

    „Insofern solche Aufgaben als unlösbar erscheinen bzw. die nachkapitalistische Sozialität und Vergesellschaftung als utopisch anmuten (s. Kapitel 3), gilt der Kapitalismus als unersetzbar. Die Kritik an negativen Effekten des Kapitalismus relativiert sich daran, dass er als nicht durch eine andere gesellschaftliche Ordnung überwindbar erscheint..“

    Zur regelrechten Frechheit wird es, Bürgerliche wie Kapitalismusgegner unisono zu Parteigängern
    der ökonomischen Gewalteinrichtung namens Kapitalismus zu stempeln, wenn diese wie jene
    nicht den verkehrten Gegensatz von „partikularen Interessen“ und deshalb darauf ankommende
    gesellschaftliche Gesellschaftlichkeit mitmachen., welches Konstrukt eben nichts davon wissen
    will, warum Linke wegen des antagonistisch beschaffenen I n h a l t s der diversern Interessen
    in der bürgerlichen Gesellschaft auf Kritik wie Notwendigkeit der Überwindung derselben
    kommen:

    „Der bürgerliche Materialismus und seine linken Varianten sowie die zu ihm komplementären Gegenpositionen (Politizismus,Rationalismus und »Selbstzweck«) tragen auf jeweils eigenständige Weise dazu bei. „