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Kritik an Ideologien, Aufklärung über populäre Irrtümer, Kommentare zum Zeitgeschehen

in bester Gesellschaft

Von • Nov 1st, 2014 • Kategorie: Allgemein

Weltverbesserung oder Fundamentalkritik?

Einige Überlegungen zum Verhältnis von Kritik, Praxis und konkreter Utopie

 

Gerne wird Kommunisten von anderen Linken ein Mangel an „Praxis“ zum Vorwurf gemacht: Kommunisten – so die Anklage – beschränkten sich aufs Meckern, verbreiteten Hoffnungslosigkeit und desavouierten generell alle linken Weltverbesserungsversuche. Sie selbst wiederum wüssten gar keine konkreten Schritte zum Umsturz dieser Verhältnisse hin und zögen sich in den Elfenbeinturm der „reinen Kritik“ zurück. Ja, sie könnten nicht einmal angeben, wie so eine kommunistische Gesellschaft eigentlich aussehen sollte. Damit sollen Kommunisten als Maulhelden überführt werden, die in Wirklichkeit überhaupt gar keine gesellschaftliche Veränderung wollen.

Gerne wird dieser Vorwurf mit einem geheuchelten Bekenntnis[1] zum Antikapitalismus verbunden: „Ja, man sei ja auch der Meinung, dass der Kapitalismus abgeschafft werden müsse, aber bis dahin gebe es doch so viele Möglichkeiten den bestehenden Zustand schon zu verbessern.“ Diese konkreten Praxen wären dann schon Vorschein eines Besseren, bzw. sogar konkrete Schritte dorthin. Gleichzeitig wird von Kommunisten eingefordert, sie sollten einmal ein konkretes Konzept einer kommunistischen Gesellschaft aufzeigen und damit deren Möglichkeit unter Beweis stellen.

Im Folgenden soll einmal begründet werden, warum Kommunisten verdammt gut daran tun, solche Vorwürfe und Forderungen zurückzuweisen. Mag manches hier auch trivial erscheinen, so dient doch eine systematische Entwicklung des Gedankengangs am ehesten als Argumentationsstütze.

Was kommunistische Kritik von Weltverbesserungsmaßnahmen unterscheidet

Zunächst, und ohne gleich die Tauglichkeit beider Konzepte im Einzelnen prüfen zu müssen, lässt sich ganz schlicht festhalten, dass radikale Kapitalismuskritik und konkrete Weltverbesserungsversuche sich einander schon dem Begriff nach ausschließen. Kommunistische Kritik besteht ja in nichts anderem als in dem Nachweis, dass Armut, Hunger, Gewalt, Arbeitshetzte, etc. – also all die miesen Erfahrungen, die hier eh kaum jemandem erspart bleiben – allesamt ihren Grund in der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer bürgerlichen Staatsgewalt haben. Das alles haben „wir“ uns weder ausgesucht, noch können „wir“ uns dem einfach so entziehen. Kommunistische Kritik zielt genau deshalb auf die Einsicht in die eigene Ohnmacht gegenüber dem totalitären Zugriff des Kapitalismus auf unser Leben.

Konkrete Konzepte, wie man das Leben im Hier und Jetzt schon schöner gestalten könnte, leugnen aber genau das. Wenn nämlich das Leben im Kapitalismus schon schöner gestaltet werden kann, dann kann auch der Kapitalismus nicht Grund des schlechten Lebens sein. Kommunisten sind nämlich, entgegen einem populären Missverständnis, nicht deshalb für die Revolution, weil sie Bock auf Randale haben, sondern weil sie die Abschaffung des Kapitalismus aus guten Gründen überhaupt für die Bedingung eines Besseren halten. Wenn es weniger auch täte, könnte man sich dieses zugegebenermaßen unbescheidene Unterfangen auch einfach sparen.

Damit soll noch gar nichts über die Tauglichkeit einzelner konkreter Praxen gesagt sein: Manche (die meisten) mögen einfach bloß Verlängerungen des herrschenden gesellschaftlichen Elends sein, manche taugen vielleicht dazu, sich im hier und jetzt ein bisschen besser durchzuschlagen. Nur eines sind sie sicher nicht: Beiträge zur Abschaffung des Kapitalismus. Im Folgenden will ich kurz beispielhaft auf ein paar konkrete Praxen eingehen, die in linken Kreisen einen unverdient guten Ruf genießen. Ich beschränke mich auf Konsumkritik und „alternatives Wählen“, da sie weitverbreite Praxen sind, die als „realistisch“ und „machbar“ angesehen werden. Eine vollständige Kritik kann natürlich nicht geleistet werden, auf weiterführende Texte werde ich hinweisen.

Konsumkritik

Kritischer Konsum steht allenthalben hoch im Kurs: Die Idee, ausbeuterischen oder umweltzerstörenden Unternehmenspraktiken durch die eigene Kaufentscheidung einen Riegel vorzuschieben, erfreut sich großer Beliebtheit bis weit in das liberale Bürgertum hinein. Auch wenn das eigentlich schon Anlass zum Mistrauen geben sollte, so hält sich auch unter Linken hartnäckig das Gerücht, Konsumkritik sei eine antikapitalistische Praxis und als solche Vorschein einer besseren Gesellschaft.

Kommunistische Kritik und Konsumkritik gehen allerdings von gänzlich unterschiedlichen Diagnosen der gesellschaftlichen Verhältnisse aus: Kommunisten beanstanden am Kapitalismus, hier würde für den Profit und eben nicht für die menschlichen Bedürfnisse produziert. Konsumkritiker sehen es genau umgekehrt: Im Prinzip ist der Kapitalismus ja schon eine bedürfnisorientierte Produktionsweise, nur mit den Bedürfnissen der Menschen hapert es noch gewaltig. Deren „Gier“ soll verantwortlich sein für Ausbeutung und Umweltzerstörung. Damit projizieren sie quasi den Profit in die Bedürfnisse der Menschen und werden folglich moralisch gegen ihre Zeitgenossen. Sie sollten Verzicht üben, bzw. anders konsumieren und damit die Unternehmen zu einer natur- und menschenfreundlichen Produktionsweise zwingen.

Es mag auf den ersten Blick verblüffen, dass der Moralismus der Konsumkritiker von den Zeitgenossen als geringere Zumutung empfunden wird als beispielsweise radikale Kapitalismuskritik. Aber im Grunde passt die Idee des kritischen Konsums wunderbar zur sowieso schon herrschenden bürgerlichen Verzichtsmoral. Wer ist eigentlich nicht stolz auf seine – bei genauerem Hinsehen gar nicht freiwilligen – Verzichtsleistungen und hält sich etwas darauf zugute „immerhin anständig geblieben“ zu sein? Opfer zu bringen für das Gelingen eines harmonischen Ganzen wird den meisten Menschen hierzulande sowieso tagtäglich praktisch abverlangt. Zynisch ist es deshalb, die Verantwortung für das Elend gerade der abhängigsten Variablen zuzuschieben.[2]

„Links“ wählen

Mit schöner Regelmäßigkeit, eben immer wenn wieder ein Urnengang ansteht, werden Kommunisten von anderen Linken dazu aufgefordert, von ihrer Staatskritik abzulassen und das berühmte „kleinere Übel“ zu wählen. Eine starke parlamentarische Linke könne den bestehenden Kapitalismus zumindest durch Reformen entschärfen und andererseits die außerparlamentarischen sozialen Bewegungen unterstützen, die dann die Abschaffung des Kapitalismus vorantreiben können.

Das Problem bei solchen linken Wahlkampagnen ist nicht bloß, dass die Institution der demokratischen Wahl überhaupt nicht dazu taugt, irgendetwas an der bestehenden Staatsraison zu ändern. Das zu beweisen ist auch wirklich keine Kunst: Radikale Wahlalternativen sind sowieso von vornherein durch die verfassungsmäßige Grundordnung ausgeschlossen. Und jede noch so harmlose Oppositionspartei – Stichwort Linkspartei – gilt als unseriös und „nicht politikfähig“, wenn sie auch nur minimal von der herrschenden Staatsraison abweicht. „Politikfähig“ werden oppositionelle Parteien dadurch – wie uns die Geschichte von SPD und Grünen lehrt und wie man es jetzt auch wieder am Beispiel der Linkspartei beobachten kann – dass sie Schritt für Schritt ihr oppositionelles Programm aufgeben. Schaffen sie es dann tatsächlich an die Macht, müssen sie erkennen, dass die Verwirklichung ihrer übriggebliebenen menschenfreundlichen Ideale allesamt von einer einzigen Variable abhängen, um die sowieso jede Partei in Deutschland bemüht ist: Kapitalwachstum. So werden aus oppositionellen Strömungen Verwalter kapitalistischer „Sachzwänge“. Dass solche Parteien auch keine guten Bedingungen für außerparlamentarische Bewegungen stiften, haben die Grünen gerade wieder in Berlin unter Beweis gestellt.

Wie aber bereits angeklungen ist, ist das Problem an Wahlen noch viel grundsätzlicher: Nicht nur sind Wahlen keine tauglichen Mittel die Politik zu beeinflussen, sie sind vielmehr ein Disziplinierungsprogramm der demokratischen Herrschaft gegenüber den Untertanen. Indem nämlich die – sich im Fortgang von Ausbeutung und Herrschaft notwendigerweise einstellende – Unzufriedenheit des Bürgers auf oppositionelle Parteien verwiesen wird, wird der Bürger gleichzeitig auf grundsätzliche Passivität verpflichtet. Er soll sich eben gerade nicht über die Gründe seiner Unzufriedenheit Rechenschaft ablegen, sondern alternative Politiker an die Macht bringen, die dann die Staatsraison umsetzen. Damit erklärt sich der Wahlbürger gleichzeitig für grundsätzlich unzuständig, was seine eigenen Anliegen anbelangt. Nicht er selbst, sondern Politiker (die man verräterischer Weise als „glaubwürdig“ bezeichnet) sollen seinem Elend Abhilfe verschaffen. Damit verpflichtet sich der Bürger auf die Herrschaft und bestätigt gleichzeitig seine eigene Ohnmacht.

Die demokratische Wahl wird damit zur Sternstunde des Nationalismus. Hier soll sich der Bürger den Staat und seine kapitalistische Geschäftsordnung als Mittel seines eigenen Fortkommens vorstellen. Durch die Abgabe seiner Stimme soll er Anteil an der Nation nehmen und für deren Gelingen eintreten. Wählen, und sei es eine alternative Partei, ist also so ziemlich das Gegenteil von Antikapitalismus, der ja immerhin auf der Erkenntnis beruht, dass die eigenen Interessen bei der Nation nicht gut aufgehoben sind, ja gar keinen positiven Bestandteil dieser Ordnung bilden.[3]

“Wo bleibt das Positive?!”

Wann immer Kommunisten solcherlei Bedenken an linker Praxis anmelden, werden sie im Gegenzug dazu aufgefordert, mal ihre Vorstellung einer kommunistischen Gesellschaft etwas konkreter auszumalen und dadurch überhaupt die Möglichkeit einer solchen Utopie zu beweisen. Ein durchdachtes planwirtschaftliches Konzept, so der Gedanke, wäre doch eine prima Sache, um Zögerliche und Skeptiker für die Revolution zu gewinnen.

Zunächst einmal verbleibt eine solche Forderung nach einer konkreten Utopie ganz auf der Ebene der Ohnmacht eines Wahlbürgers: Der kommunistische Kritiker wird ganz in die Rolle eines ideellen Kanzlerkandidaten versetzt und soll nun dem unzufriedenen Wähler erklären, wie er es ihm besser zu machen gedenkt. Das verfehlt allerdings das grundsätzliche Anliegen kommunistischer Kritik, die aufklären und damit die Lohnabhängigen dazu auffordern will selbst ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Arrogant und autoritär wäre es, den Geschädigten ein Alternativkonzept für die Zukunft vorzusetzen, anstatt ihre zweifelhaften Gründe fürs Mitmachen hier und heute zu kritisieren.

Mit dem Ausmalen utopischer Luftschlösser ist es allerdings auch gar nicht so weit her: Welcher Bürger versteht sich nicht auf Tagträumereien, in denen sie sich all das Schlechte aus diesen Verhältnissen einfach wegdenken?! Solche Träume stacheln aber niemanden zur Revolte an, denn sie werden schnell als „unrealistisch“ verworfen, wenn es dann mal an ihre Verwirklichung gehen soll. Die „Realität“ an der solche Alternativen angeblich scheitern sollen, ist immer noch die unbegriffene bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft.

Die Frage, wie es denn anderes gehen sollte, ist eben auch keineswegs so harmlos, wie sie daher kommt: Wer nach vernommener Kapitalismuskritik ernsthaft fragt „Wie soll es denn anders gehen?“, der drückt im Grunde Zweifel an der Möglichkeit des Anderen aus. Dann kann er aber auch die Kapitalismuskritik nicht ernsthaft teilen. Denn diese soll ja gerade zeigen, dass diese Verhältnisse überhaupt nicht natürlich sind, keiner „Menschennatur“ entspringen und überhaupt bloß durch einen ganzen staatlichen Gewaltapparat aufrechterhalten werden können. Dass es demgegenüber auch anders geht, ist damit schon hinreichend bewiesen.[4]

Dass andere gesellschaftliche Verhältnisse möglich sind ist im Grunde auch banal. Schließlich geht es hierbei nicht um Fragen der Naturbeherrschung, wo es tatsächlich äußere Bedingungen der Verwirklichung des Willens gibt. Die Möglichkeiten gesellschaftlicher Organisation haben ihre einzige Schranke im Willen ihrer Mitglieder. Wenn diese sich also auf eine bestimmte Form von gesellschaftlicher Organisation einigen können, dann setzen sie die auch in die Praxis um. Irgendeine äußere Schranke gibt es schlicht nicht. Darum kann man auch den antikommunistischen Schlager „in der Theorie prima, in der Praxis leider schlecht/nicht zu verwirklichen“ ganz einfach zurückweisen: Was in der Theorie taugt, taugt auch in der Praxis.

Eine durchgeführte Kapitalismuskritik weist dann in ihren Resultaten auch schon auf die Grundzüge einer nachkapitalistischen Ordnung hin: Wer z.B. begriffen hat, dass Armut aus der grundsätzlichen Natur des Lohns resultiert, die negative Seite des Profits zu sein, der wird sich für die Abschaffung der Lohnarbeit einsetzen.

„Was tun?“

Die Antwort auf diese beliebte Frage ergibt sich eigentlich schon logisch aus dem bisher Gesagten. Die Schwächen linker Weltverbesserungsideen ergeben sich allesamt aus ihrem mangelhaften Verständnis der kapitalistischen Verhältnisse.[5] Es kommt also anscheinend sehr drauf an, wie man sich die bestehende Gesellschaft erklärt. Wer der schlechten gesellschaftlichen Realität ohne deren Analyse einfach eine bessere Praxis gegenüberstellt, verbleibt ganz auf der Oberfläche der gesellschaftlichen Erscheinungen und tappt mit seinen Weltverbesserungsidealen womöglich ewig im Dunkeln herum. Der blöde Satz – „wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz; wer mit vierzig noch einer ist, hat keinen Verstand” – hat ja zumindest darin einen wahren Kern: Wer seine Opposition zu den Verhältnissen wirklich bloß auf sein „Herz“ gründet, auf den guten Willen und die Moral, der wird mit Notwendigkeit scheitern. Er wird sein Scheitern aber gar nicht begreifen können, weil er sich der gesellschaftlichen Gründe seines Scheiterns gar nicht bewusst ist. Im schlimmsten Fall wird er das Scheitern der Menschennatur anlasten. Und so werden die ekelhaftesten Konservativen, die sogenannten „geläuterten Linken“ geboren.[6]

Dem bloßen Verbesserungswillen muss stattdessen eine wissenschaftliche, auf theoretische Einsicht dringende Kritik der Gesellschaft gegenüber gestellt werden. Hierzu lässt sich immer noch wunderbar aus der „Programmatischen Erklärung der Roten Zellen“ zitieren:

„Kommunistische Politik ist Resultat wissenschaftlicher Einsicht in das Kapitalverhältnis. Sie zielt auf die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft. Diese Zielsetzung hat Marx aus der wissenschaftlichen Erkenntnis  des Kapitalismus,  mithin aus dem Charakter dieser  Gesellschaft  selbst  begründet.  Revolutionäre  Theorie ist  das wissenschaftliche Begreifen der kapitalistischen Gesellschaft und  als solches deren Kritik. Nicht in Utopien von Weltverbesserern ist  die Notwendigkeit und damit die Möglichkeit der Revolution enthalten, nicht ein Ideal ist der Antrieb kommunistischer Politik, sondern die objektiv erkannten Verhältnisse selbst.“ – Rote Zellen (1974)[7]

Die bürgerliche Gesellschaft beruht auf dem Mitmachen aller ihrer Mitglieder, auch jener die durch sie geschädigt werden. Die Schäden sind den dabei Geschädigten durchaus bewusst, nur sehen sie deren Grund eben nicht in der kapitalistischen Grundrechnungsart dieser Gesellschaft, sondern in allerlei Verfehlungen ihrer Mitmenschen: Machtgeile Politiker, profitgierige Konzerne, verantwortungslose „Bankster“, faule Arbeitslose und die Migranten, die schlicht immer „zu viele“ sind. „Eigentlich“, so spricht es aus diesen „Kritiken“, „müssten meine Interessen hier ja auch zum Zug kommen, wenn nur jeder hier wirklich seine Pflicht täte.“

Kommunistische Kritik wartet demgegenüber mit der Erkenntnis auf, dass es dieses „eigentlich“ nicht gibt: die erfahrenen Drangsale haben ihren Grund eben nicht in den moralischen Verfehlungen unserer Zeitgenossen, sondern sind notwendige Folge der hier herrschenden gesellschaftlichen Grundprinzipien. Der Kapitalismus scheitert nicht an der Befriedigung aller Bedürfnisse, sondern hat dies gar nicht in seinem Programm. Von dieser Einsicht versuchen Kommunisten ihre Mitmenschen zu überzeugen.

Ideologiekritik ist also das Herzstück kommunistischer Politik. Kommunisten müssen für die Verallgemeinerung ihrer Einsichten kämpfen – und Wahrheit wird ihnen dabei zur Waffe. Die Frage „Was tun?“ kann also ganz einfach wie folgt beantwortet werden: Sich selbst theoretische Rechenschaft ablegen über diese Gesellschaft und dann andere von der eigenen Sicht zu überzeugen. Das ist im Grunde genau das, was „wissenschaftlichen Sozialismus“ einmal ausmachte, bevor der Begriff durch die Realsozialisten auf eine Phrase heruntergebracht wurde.[8] Gelingt es, eine große Anzahl an Menschen von dieser Sicht zu überzeugen, so ist die praktische Umsetzung der Kritik keine Kunst mehr. Diese Gesellschaft beruht wie gesagt darauf, dass auch die durch sie Geschädigten sie jeden Tag aufs Neue reproduzieren. Wenn die Lohnabhängigen hierzulande also den Zweck ihrer Arbeit nicht länger einsehen, dann haben sie mit deren Verweigerung ein riesiges Machtmittel in der Hand, um ihre Kritik praktisch werden zu lassen. Und erst dann können sie sich daran machen, eine gebrauchswertmäßig geplante Produktion aufzubauen.

„Ist das denn realistisch?!“ 

Auf so eine blöde Frage möchte man glatt antworten: „Nein, realistisch ist das überhaupt nicht!“ Immerhin versuchen Kommunisten seit über 150 Jahren mit sehr geringem Erfolg ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, sich Staat und Kapital nicht länger zur Verfügung zu stellen. Aufstände wurden niedergeschlagen, alternative Modelle von Gesellschaft – wie untauglich auch immer – wurden totgerüstet. Zu Beginn des neuen Jahrtausends steht die kommunistische Bewegung wesentlich schlechter da als in den zwei Jahrhunderten davor. Ja, im Grunde existiert sie gar nicht mehr.

Aber was heißt das schon? Ist die Kritik etwa schon deshalb falsch, weil sie bei kaum jemandem auf offene Ohren stößt? Opportunisten, für die nur die Durchsetzungsfähigkeit einer Idee zählt und nicht deren Qualität, sind tatsächlich besser beraten, wenn sie gleich ganz brutal für Staat und Kapital und deren Konsequenzen eintreten. Denn das sind ja die Konzepte von Gesellschaftlichkeit, die sich tagtäglich höchst erfolgreich durchsetzen. Aber spricht nicht genau das gegen sie?!

Gerne wird darauf verwiesen, dass Kritik immer auch davon abhängt, ob die Adressaten überhaupt willens sind, sich mit den Argumenten zu befassen. Die meisten Menschen hierzulande laufen schließlich nicht mit lauter offenen Fragen durch die Gegend, sondern haben meist schon ihre eigenen, wenn auch verkehrten Theorien über diese Gesellschaft im Kopf. Es kann kaum geleugnet werden, dass kommunistische Kritik bisher meist am prinzipiellen Desinteresse der Kritisierten scheiterte. Aber hier ist, ausnahmsweise einmal, ein Aufruf zur Bescheidenheit nicht fehl am Platze: Der Ideologiekritiker ist eben kein Ritter in goldener Rüstung, der die Welt allein mit der Kraft seines Intellekts aus den Angeln hebt. Das Einzige, was er wirklich tun kann, ist die Widersprüche und Fragen dort zu thematisieren, wo sie auftreten und für seine Sicht der Dinge zu werben, in der Hoffnung damit Einsicht zu erzeugen.

Das ist nicht viel. Aber zugleich ist es sehr viel mehr als die Linken bisher offensichtlich zu leisten imstande waren. Der Erfolg dieser Anstrengungen ist durchaus ungewiss. Aber es ist zugleich das Einzige, was sich wirklich zu tun lohnt, wenn man erstmal erkannt hat, wie totalitär der Kapitalismus unser Leben bestimmt. Und zu guter Letzt kann man hier wirklich einmal Marx zitieren:

„Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde.“ – Marx an Kugelmann

[1] Warum solche Lippenbekenntnisse geheuchelt sind, soll im Folgenden noch gezeigt werden.

[2] Für eine umfassendere Kritik siehe den Text „Kritik der Konsumkritik“ von Junge Linke gegen Kapital und Nation (https://gegen-kapital-und-nation.org/kritik-der-konsumkritik).

[3] Für eine umfassende Kritik der demokratischen Wahl siehe: Decker, Peter (Hrsg.): Demokratie. Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft, GegenStandpunkt Verlag 2013.

[4] Das muss auch immer wieder z.B. gegen die Parole von Attac eingewendet werden: „Eine andere Welt ist möglich!“ – Wer würde das schon ernsthaft bezweifeln?! Entscheidend ist doch vielmehr die Frage, ob wir eine andere Welt wirklich brauchen.

[5] Der Staat wird sich als Gemeinschaftswerk, die Produktion als bedürfnisorientiert gedacht.

[6] „Und die Alternativsucher haben indes ihre ganz eigene Biographie des Scheiterns. Mit 15 in der Punkerclique, mit 18 auf der Antinazidemo, mit 20 in der Kommune oder im Frauenbuchladen, dann irgendwo zwischen Gorleben Zelten und die Zeit totschlagen im selbstverwalteten Jugendhaus. Reichlich desillusioniert landen sie dann bei der SPD oder den Grünen, weil “es” ja alles nichts gebracht hat. “Es” ist dabei ihre eigene Praxis – wird aber gerne mit der Kritik am bestehenden verwechselt, die wirklich zu leisten sie nie in der Lage waren.“ – Kein0rt (http://keinort.de/?p=177)

[7] Die gesamte „Programmatische Erklärung“ der Roten Zellen kann man nachlesen unter:http://neoprene.blogsport.de/images/RoteZellenAKProgrammatischeErklrung.pdf

[8] Für Genaueres zu einem solchen (Miss-) Verständnis des wissenschaftlichen Sozialismus siehe: „Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft – Teleologischer Reklamefeldzug für Marxsche Theorie“, in: Marxistische Zeit- und Streitschrift, 1983.2.

2 Responses »

  1. Der in Fußnote 8 verlinkte Text zu Engels ist beim GegenStandpunkt online:
    http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/83/83_2/marx5.htm

  2. Bei dieser Heidelberger Gruppe scheint es ein recht unterschiedliches Unterstützerspektrum zu geben:
    noch im letzten Jahr schrieb die Gruppe zu den Blockupy-Tagen:

    „Warum nach Frankfurt? Weil Blockupy symbolischer und glokaler Widerstand ist, der durch unsere Beteiligung sichtbar und wirksam wird.“

    Oder etwas „programmatischer“:

    So viel wir durch unsere politischen Aktivitäten vor Ort auch verbessern mögen, den Erwerbsarbeitszwang werden wir nur ganz begrenzt damit reduzieren, abschaffen können wir ihn durch rein lokalen Aktivismus jedenfalls nicht. Er entspringt den kapitalistischen Verhältnissen und diese sind eben auch ein globales Phänomen. Ihre Überwindung ist nur durch eine Politik möglich, die auf die Abschaffung kapitalistische Strukturen auf allen Ebenen – in sozialen Gruppen, Familien, Dörfern, Gemeinden, Städten, Bundesländern, Nationalstaaten, Staatengemeinschaften etc.) abzielt. Bei Blockupy treffen Kritiken und politische Aktionen aufeinander, die unterschiedliche Zustände auf verschiedenen Ebenen problematisieren. Diese Art der politischen Praxis halten wir für unterstützenswert, denn sie verknüpft lokale und globale Probleme und rückt damit die Komplexität kapitalistischer Verhältnisse und die Notwendigkeit ihrer gesamtgesellschaftlichen Überwindung in den Fokus.“
    Aus „Better late than never! – Drei und mehr Gründe ab dem 30.5 in Frankfurt zu sein. Ein Aufruf zu den Blockupy-Aktionstagen.“
    http://inbestergesellschaft.wordpress.com/2013/05/28/blockupy2013/

    Das konnte man damals auch von z.B. avanti/IL lesen und hören. Dazu wiederum gab es in Frankfurt eine der wenigen Veranstaltungen, bei denen sich solche Linke gegen den Vorwurf des GegenStandpunkt zur Wehr gesetzt haben: „Einwände gegen die Politik des Blockupy-Bündnisses: Widerstand gegen Verarmung – Für Einen sozialeren und demokratischeren Kapitalismus?“
    Mitschnitt der Veranstaltung vom 5.11.2012: http://www.farberot.de/audio/download/Blockupy-311-336.mp3