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[02/2012] „Taste the Waste“

Von • Feb 22nd, 2012 • Kategorie: Artikel

„Taste the Waste“

Ein Film betreibt Ursachenforschung in Sachen Welthunger: Ist „unsere Wegwerf-Mentalität“ schuld?

Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora Muenchen vom 6. Februar 2012

„Taste the Waste“, so heißt ein Film, der neulich in den Kinos lief. Er beleuchtet eine Seite „unseres“ Kapitalismus namens „soziale Marktwirtschaft“, die nun wirklich einmal quer durch die Klassen niemand verteidigen würde. Es geht ums massenhafte Wegwerfen, also Vernichten von Lebensmitteln. Der Streifen liefert drastische Bilder, die den Zuschauer betroffen machen sollen: Herrliche Tomaten werden von einer Müllanlage zu einem widerlichen Matsch verpresst, Arbeitskraft und Umwelt sinnlos vergeudet. Und die Filmemacher haben auch die Umweltschäden recherchiert, die durch die Lebensmittelvernichtung angerichtet werden. Der Schaden reicht auf jeden Fall bis in die Zukunft, das Klima wird nicht nur durch das Abholzen der Regenwälder geschädigt, sondern auch durch das Methan, das die verrottenden Lebensmittel freisetzen. Man erfährt also: Das Problem ist riesig, global und betrifft „uns alle“.

Im Buch zum Film, es heißt „Die Essensvernichter“, werden die Zahlen genannt, die schon seit einiger Zeit in der öffentlichen Diskussion kursieren. Da heißt es:

„Mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel landet im Müll. Allein in Deutschland werden jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen – das sind 500.000 Lastwagen voll. Das Essen, das wir in Europa wegwerfen, würde zweimal reichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren.“ (Klappentext)

Die Sache scheint klar: Wo so viel weggeworfen wird, wird zu viel produziert. Aber – zu viel wofür?

Sicher nicht zu viel für den Appetit der Hungernden auf dieser Welt. Die hätten sofort zugegriffen, aber denen wurden die rettenden Kalorien ja nicht angeboten.

Wird etwa zu viel für das Geschäft mit Nahrungsmitteln produziert? Das widerlegt der Film selbst. Er zeigt nämlich ganz realistisch, wie es zur ständigen Vernichtung von Essbarem kommt. Das Wegwerfen passiert nicht aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit. Wann und was und wie viel entsorgt wird, das wird im Lebensmittelhandel mit spitzem Stift durchkalkuliert. Die Vernichtung von Lebensmitteln wird im Film als Bestandteil der Geschäftskalkulation vorgeführt, sowohl bei den Lebensmittelproduzenten wie auch bei den Handelsketten und Supermärkten. Es ist gar kein Geheimnis, wie da gerechnet wird:

Schon bei der Produktion wird manches weggeworfen oder gar nicht erst geerntet. Was im Aussehen nicht den EU-Verordnungen entspricht oder nicht die optimale kistentaugliche Form hat, das lässt man gleich liegen, damit Verpackungs- und Transportkosten nicht erhöht werden. Was aus fernen Ländern antransportiert werden muss, das ist bei der Ankunft oft schon teilweise verdorben. Die Bohnen aus Kenia kommen dann nur noch teilweise beim Verbraucher an. Den Kenianern hätten sie noch geschmeckt, aber für die waren sie nie gedacht. Das Aussortieren von angegammelter Ware kostet Arbeitszeit und Lohn, sodass es sich eher rechnet, gleich die ganze Steige mit Obst oder Gemüse wegzuwerfen. Und die Brotregale müssen bis zum Ladenschluss gefüllt sein, sonst landet der Kunde bei der Konkurrenz; also wird ständig nachgefüllt und um 20 Uhr alles weggeworfen. Und auch die andere verderbliche Ware wird nicht unbedingt bis zum Mindesthaltbarkeitsdatum im Regal gelassen. Wenn die neue Ware schon im Supermarkt eingetroffen ist, rechnet es sich nicht mehr, daneben noch das alte Zeug hinzustellen usw. usf.

Die Lebensmittel werden also deshalb weggeworfen, damit herauskommt, worauf es in der angeblich besten aller möglichen Wirtschaftssysteme bekanntlich ankommt: Der möglichst große Gewinn der Firmen, die Lebensmittel produzieren oder vermarkten. Was für sie beim Einkauf gerade noch Kapitalwert darstellte, wird augenblicklich wertlos, wenn sich herausstellt, dass der Verkauf an den Endverbraucher keinen Gewinn mehr abwirft, da kann das Lebensmittel selbst noch so unverdorben sein.

Verschwendung passiert hier tatsächlich in großem Maßstab: Die Arbeit und die natürlichen Ressourcen, die in die Produktion eingegangen sind, erweisen sich mit dem Wegwerfen als nutzlos, als null und nichtig. Weder die Wertseite der Waren noch ihre stoffliche Seite, ihre Nützlichkeit, kommt zum Zuge – es sei denn, karitative Organisationen bieten sich an, den Transport des Weggeworfenen zu ihren Tafeln zu organisieren.

Der Film illustriert diesen ganz normalen ökonomischen Wahnsinn der marktwirtschaftlichen Produktion, registriert ihn aber ganz anders. Klar ist, dass es nicht um Kriminalität oder verschwenderische Mentalität einzelner Unternehmer geht. Es soll schon eine Art von System sein, und zwar ein reichlich zynisches, das hinter der Vernichtung steckt. Ein Skandal sei das massenhafte Wegwerfen in globaler Hinsicht, weil brauchbare Ware vernichtet wird und zugleich, so heißt es im Buch,

… die globalen Ressourcen überstrapaziert [sind], sich dem Ende zuneigen und doch immer mehr Menschen versorgen müs­sen …“ (S. 15)

Das halten die Filmemacher für empörend, weil sie persönlich davon überzeugt sind, dass ein solcher Zynismus in ihrem Gesellschaftssystem eigentlich nicht vorkommen dürfe. Zwar zeigt ihr Film überdeutlich, wie es im weltweiten Nahrungsbusiness tatsächlich zugeht. Das Buch zum Film ist dementsprechend sehr unzufrieden mit der ökonomischen Ratio der Konzerne:

„… Konzerne haben keinerlei Interesse an einer Einschränkung des Konsums und einer Begrenzung der Produktion. Raubbau an der Natur und Wegwerfmentalität sind ihre Markenzeichen und sichern den Geschäftserfolg …“ (S. 37).

Als Kritik daran fällt ihnen aber nur der matteste Vorwurf ein, den es gibt: dass es eigentlich und im Sinne aller wohlmeinenden Menschen genau um das Gegenteil gehen sollte, nämlich um die Versorgung von Menschen bei globaler Ressourcenschonung. Sie sind beseelt von der Vorstellung, das Geschäft mit der Ernährung sei eigentlich dem Dienst an den materiellen Bedürfnissen der Menschheit verpflichtet.

Auch wenn die Anschauung zeigt, dass dem nicht so ist, werden die Waste-Kritiker nicht zu Gegnern der kapitalistischen Logik des Geschäfts mit Lebensmitteln. Einseitige Beschuldigungen wollen sie nicht in die Welt setzen. Das letzte Zitat hat schon angedeutet, dass die Kritiker des Wegwerfens eine allgemeine „Wegwerfmentalität“ entdeckt haben, die die „Konzerne“ mit „uns allen“ teilen. Diese „Mentalität“ ergibt sich nach Meinung der Filmemacher daraus, dass den Leuten das Konsumieren viel zu leicht gemacht werde und sie darüber eine verächtliche Stellung gegenüber den Lebensmitteln einnähmen. Das viele Konsumieren soll sich wiederum der Billigkeit der Lebensmittel verdanken:

Warum haben die Menschen in den so genannten ‚entwickelten‘ Ländern die Wertschätzung für das Essen verloren? Das mag damit zusammenhängen, dass die Nahrungsmittel immer billiger werden.“ (S. 11)

Die Lebensmittelproduzenten kommen hier als welche vor, die dem unbändigen Drang nach Konsum mit ihren Billigpreisen einerseits nachkommen, diesen Drang andererseits fördern. Kommandeur der ganzen Angelegenheit sei der Konsument, das produzierende Kapital spiele die Rolle des Handlangers und Komplizen.

Aus dem Film selber könnte man freilich das Gegenteil lernen. Lebensmittelproduzenten und Supermarktketten machen ja nicht deswegen Billigpreise, weil sie einem Drang des Konsumenten nachkommen wollen, sondern weil sie um die beschränkte Kaufkraft der Verbraucherschar konkurrieren. Gerade weil die Leute nicht viel zum Ausgeben haben, wird die Billigkeit zum Lockmittel. Diese Billigkeit stellen die Produzenten in ihrer Konkurrenz untereinander her, indem sie alle produktivitätssteigernden Methoden einsetzen, um mit jedem noch so billigen Joghurtbecher Gewinn zu machen, ihn also gegen die teurere Konkurrenz an den Käufer zu bringen, der jeden Cent umdrehen muss. Das führt zu einer sich ständig ausweitenden Massenproduktion, die selbstverständlich auf Kosten der Qualität geht – und selbstverständlich auch auf Kosten der Gesundheit, da eine solche Massenproduktion ohne Einsatz von Giften, billigen Futtermitteln oder unverträglichen Zusatzstoffen, ohne Sparsamkeit bei der Hygiene, gar nicht zu haben ist. Und ausgerechnet aus dem Einschränkungszwang des Geldbeutels und aus den Zumutungen der Nahrungsmittelindustrie machen die Filmemacher nun eine große Verwöhnaktion für den Verbraucher: Der Kunde finde einen allzu preiswerten Überfluss vor, meinen sie, und das verderbe dann die gute Sitten und die Moral, die bei der Schonung der Ressourcen für die Menschheit doch so wichtig wären. Wer aber billig eine schlechte Qualität einkauft, der verzichtet ja gerade auf einige Ansprüche an das Produkt, um noch ein paar andere einkaufen zu können. Das soll er dann sein, der sogenannte Wohlstand, der dem reichhaltigen Warenangebot gegenübersteht.

Schon sehr merkwürdig, was hier aus dem Konsumenten wird. Nur weil er für seine Ernährung das einkauft, was ihm die Firmen so vorsetzen, weil er sich mal von frisch aussehender Ware und mal von billigen Preisen anlocken lässt, soll er am verschwenderischen Umgang mit Ressourcen schuld sein, mit denen er gar nichts zu tun hat, weil er über sie nicht verfügt. Eigentlich ist er nur das letzte und ohnmächtigste Glied in der Kette der Verwertung des Lebensmittelkapitals. Weil er aber sein Geld auf den Tisch legt und seine Rolle wie vorgesehen spielt, soll er sich mitschuldig an der großen Nahrungsverschwendung und deren Folgen für den Planeten fühlen.

Da hilft es ihm auch nichts, dass er in den Augen der Verschwendungs-Kritiker nur ein Teil des Systems ist, in dem er mit seinen „Gewohnheiten und Vorlieben“ dem problematischen „Geschäftserfolg der Konzerne“ dient. Herauskommen aus dem System geht nur, so lernt er im Film, wenn er sich gefälligst eine neue „Achtsamkeit“ gegenüber den Joghurts und Schweinebräten zulegen würde. Wenn er alle Einkäufe genau plant, nie zu viel und nicht immer das billigste kauft – auch wenn das die „Lebenshaltungskosten“ schnell sprengt, auf die sein Lohn oder Hartz 4 berechnet sind.

Die „Achtsamkeit“ der Lebensmittelproduzenten und ‑verkäufer steht ohnehin fest und fällt aus wie immer: Hauptsache, das Geld des Konsumenten wandert in ihre Kassen. Daneben geht das Wegwerfen seinen Gang.

 

http://www.gegenstandpunkt.de/radio/2012/ga120206.html

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